Edelstahlfabrik von Thyssenkrupp im italienischen Terni: Zuletzt haben zwei Interessenten um die Firma mit 2700 Beschäftigten gebuhlt.
Zum vierten Mal in diesem Sommer geben die Essener ein Geschäft ab, Tausende Beschäftigte verlassen den Konzern. Was ist da los, Ausverkauf an der Ruhr? Nein, sagt die Chefin, alles läuft nach Plan.
Von .css-viqvuv{border-bottom:1px solid #29293a;-webkit-text-decoration:none;text-decoration:none;-webkit-transition:border-bottom 150ms ease-in-out;transition:border-bottom 150ms ease-in-out;}.css-viqvuv:hover{border-bottom-color:transparent;}Benedikt Müller-Arnold, Düsseldorf
Es klingt wie eine Ehre, wenn Papst Franziskus ein Unternehmen in seiner Generalaudienz in Rom erwähnt. Doch nein, jener Septembertag warf kein gutes Licht auf Thyssenkrupp. „Ich bringe meine tiefe Besorgnis über die schlimme Situation vieler Familien in Terni wegen des Projekts der Firma Thyssenkrupp zum Ausdruck“, kanzelte das Kirchenoberhaupt den größten Stahlhersteller Deutschlands ab. Damals, 2014, sollten in einem Edelstahlwerk von Thyssenkrupp in Italien Hunderte Stellen wegfallen. Doch der Papst nahm den Konzern ins Gebet: „Mit Arbeit spielt man nicht.“
Jetzt, sieben Jahre später, trennt sich Thyssenkrupp endgültig von der Edelstahl-Herstellung: Der Industriekonzern wird das Werk in Umbrien sowie dazugehörige Vertriebsstandorte an das italienische Stahlunternehmen Arvedi verkaufen. Das haben die Firmen nun bekanntgegeben. Mithin wird Thyssenkrupp bald um weitere etwa 2700 Beschäftigte schrumpfen.
Die Betonung liegt auf: weitere. Denn die Trennung vom Edelstahl ist nun schon der vierte Verkauf, den Thyssenkrupp in diesem Sommer besiegelt hat. Bereits im Juli kündigte der Ruhrkonzern an, sein Geschäft mit Bergbaumaschinen wie Schaufelradbaggern abzugeben. Im August folgten die Trennung vom Tiefbau sowie der Verkauf einer Karbonfelgen-Tochter. Insgesamt wird Thyssenkrupp somit mehr als 6000 von zuletzt gut 100 000 Beschäftigten verlieren.
Thyssenkrupp-Chefin Martina Merz: Die Ingenieurin wechselte vor knapp zwei Jahren vom Aufsichtsrat an die Vorstandsspitze.
Doch was wie ein Ausverkauf wirken mag, ist in der gläsernen Konzernzentrale in Essen durchaus gewollt. „Wir arbeiten unsere Prioritäten ab“, sagt Vorstandschefin Martina Merz, „und machen planmäßige Fortschritte bei unserem Umbau.“ Die 58-Jährige steht seit knapp zwei Jahren an der Spitze von Thyssenkrupp. Sie fand damals einen Konzern vor, der nach einer gescheiterten Expansion gen Amerika hoch verschuldet war – zudem ein ziemlicher Gemischtwarenladen von Stahl über U-Boote bis hin zu Treppenliften. Die Corona-Krise hat die Lage noch verschlimmert.
Merz drehte „in den Geschäften jeden Stein um“, wie sie gerne sagt. Mehr als 6000 Arbeitsplätze sind bei Thyssenkrupp seither weggefallen. Vorigen Sommer verkaufte der Konzern seine profitable Aufzugssparte, um eine Überschuldung abzuwenden. „Größe allein ist für uns kein relevanter Maßstab“, betonte Merz. Stattdessen sei es wichtig, dass die Geschäfte jeweils zu den Besten ihrer Branche aufschlössen. Traut Merz einer Sparte das nicht zu, dann plant sie deren Verkauf, schlimmstenfalls die Schließung.
So macht Thyssenkrupp ein Grobblech-Werk in Duisburg Ende dieses Monats dicht. Auch für vergleichsweise kleine Geschäfte wie den Zementanlagenbau oder Federn und Stabilisatoren sucht der Konzern noch Käufer oder Partner.
Im Fall der Edelstahl-Tochter hatten gleich vier Unternehmen Interesse bekundet, wie italienische Medien berichten, zwei Einheimische schafften es in die finale Runde. Die derzeit hohen Preise für Werkstoffe wie Edelstahl haben dem Wettbewerb wohl gutgetan. Börsenanalysten bezifferten den Wert von Acciai Speciali Terni (AST) auf bis zu 600 Millionen Euro. Thyssenkrupp und Arvedi haben Stillschweigen über den Kaufpreis vereinbart.
Produktion in Umbrien: Die Erholung von der Corona-Krise, verbunden mit Werkstoff-Knappheiten, haben dem Verkaufsprozess zumindest nicht geschadet.
Wettbewerbsbehörden müssen den Verkauf noch genehmigen. Thyssenkrupp erwartet, ihn im ersten Halbjahr 2022 abzuschließen. Bis dahin will der Konzern prüfen, ob er wenigstens eine Minderheitsbeteiligung an AST behalten möchte. Von der Edelstahl-Herstellung hatte sich Thyssenkrupp eigentlich schon 2012 getrennt. Nur um Auflagen der Wettbewerbsbehörden zu erfüllen, behielt der Ruhrkonzern noch die italienische Tochter.
Und was soll nach den Abschieden von Thyssenkrupp noch bleiben? Konzernchefin Merz sucht das Heil vor allem im Handel mit Werkstoffen wie Stahl, im Autozuliefergeschäft sowie in Industriekomponenten, die beispielsweise in Windrädern stecken. So aufregend wie damals, beim Arbeitskampf in Terni, klingt das alles nicht. Doch auf Kritik vom Vatikan können sie in Essen ohnehin ganz gut verzichten.
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