Ruja Ignatova erfand die digitale Währung Onecoin. Mittlerweile ist sie untergetaucht.
Die „Kryptoqueen“ nahm Milliarden mit einer Kryptowährung ein, dann verschwand sie, bis heute. Nun stehen zwei Männer und eine Frau in Münster vor Gericht. Was wussten sie?
Von .css-viqvuv{border-bottom:1px solid #29293a;-webkit-text-decoration:none;text-decoration:none;-webkit-transition:border-bottom 150ms ease-in-out;transition:border-bottom 150ms ease-in-out;}.css-viqvuv:hover{border-bottom-color:transparent;}Philipp Bovermann, Münster
Sie hatte einen Plan, für den Fall, dass alles auffliegt – lange bevor sie in ein Flugzeug stieg und verschwand, angeblich nur mit einer Handtasche als Gepäck. Der Plan lautete: „Nimm das Geld und lauf und gib jemand anderem die Schuld.“ So schrieb die im Schwarzwald aufgewachsene Juristin Ruja Ignatova es dem Mann, mit dem sie zusammen die Kryptowährung Onecoin erfand – eines der größten mutmaßlichen Betrugssysteme, die es je gegeben hat. Mindestens 5,2 Milliarden sind von 2014 an darin geflossen. Ihre Anhänger nannten Ignatova die „Kryptoqueen“. Sie versprach ihnen, dass Onecoin den Bitcoin ablösen und endlos durch die Decke gehen werde. Zumindest in einer Hinsicht hielt Ignatova Wort: Im September 2017 nahm sie das Geld, rannte – und nun soll das Landgericht Münster klären, welche Schuld zwei Männer und eine Frau aus ihrem Umkreis auf sich geladen haben. Am Freitag wurde der Prozess eröffnet.
Ein nicht mehr ganz junges Ehepaar aus Greven, das aussieht, als hätte es sich beim Spaziergang im Park aus Versehen in den Gerichtssaal verirrt, steht an diesem Tag händchenhaltend mit den Rücken zu den klickenden Pressekameras. Vor ihnen die Anklagebank, wo sie gleich Platz nehmen werden. Ein ebenfalls angeklagter Münchner Anwalt sitzt dort bereits, modische Brille, graue Haare mit Seitenscheitel, der kurz getrimmte Vollbart noch dunkel, die Mundwinkel nach unten gezogen.
Der holzgetäfelte, von viel Beton umgebene Raum im Erdgeschoss des Landgerichtsgebäudes scheint jede Emotion zu schlucken. Hier brandet also die Begeisterung, die Onecoin bei Millionen von Menschen auf der ganzen Welt ausgelöst hat. Etwa 2016 in der Wembley Arena in London. Oder 2017 im Studio City Event Center in Macau, deren halbkreisförmig aufsteigende Ränge sich im Dunkeln verloren, während vorne Licht und Musik explodierten. Die Kryptoqueen und andere Redner aus dem Onecoin-System sprachen bei solchen Events über die Zukunft, in der das Bankengeld durch Kryptogeld ersetzt worden sei – durch Onecoin. Alles werde gut, versprachen sie, trotz der vielen Lügen, die über Onecoin verbreitet würden. Dann Sprechchöre. Jubelrufe. Totale Ekstase. Der Angeklagte aus Greven, der sich bei der Verlesung der Anklage seine Altherren-Lesebrille aufsetzt, war einer dieser Redner. Seine Frau war Geschäftsführerin einer Firma, über die Geld von Onecoin-Investoren ins Ausland floss.
Grundsätzliche Fragen muss das Gericht nun klären: Wie beweist man einen möglichen Betrug mit einer digitalen Währung? Wie beweist man, dass etwas keinen Wert haben soll, wenn Millionen Menschen auf der ganzen Welt an den Wert glauben, manche sogar, abgeschottet in digitalen Echokammern des Internets, bis heute? Die Strafkammer des Landgerichts scheint gewillt, sich in den trüben Bereich vorzuwagen, in dem Versprechen, wenn man sie nur oft genug wiederholt, zu selbständigen Realitäten werden. Die Staatsanwaltschaft Bielefeld hatte dem Ehepaar aus Greven lediglich vorgeworfen, Zahlungsdienste ohne Erlaubnis erbracht zu haben, die Münsteraner Strafkammer allerdings hat die Anklage um einen rechtlichen Hinweis erweitert. Auch eine Verurteilung wegen Geldwäsche und Beihilfe zum Betrug komme in Betracht, jeweils im besonders schweren Fall.
Das Landgericht will also zum Kern eines Gebildes vorstoßen, das darauf angelegt ist, die rechtliche Verantwortung für die jahrelange Umwandlung von Geld in virtuelle Werte zu zerstreuen. Das Endspiel eines Katz-und-Maus-Spiels zwischen der deutschen Justiz und Onecoin ist eingeleitet.
Das Ehepaar aus Greven soll von Ende 2015 bis Ende 2016 rund 320 Millionen Euro von deutschen Investoren eingenommen und größtenteils ins Ausland überwiesen haben, gegen eine Provision von einem Prozent. Dafür hätten sie eine Erlaubnis gebraucht, unabhängig davon, ob Onecoin ein legitimes Produkt ist oder nicht. Das Geld ging an einen Fonds in den Cayman Islands und von dort aus über ein komplexes System von Firmen und Mittelsmännern in verschiedene Steuerparadiese. Dabei geholfen haben soll der Münchner Anwalt. Er soll E-Mails an kritisch nachfragende Bankmitarbeiter verschickt haben, um die Herkunft der Gelder zu verschleiern, 75 Millionen Euro seien dank seiner Hilfe in die Cayman Islands gelangt. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vorsätzliche Geldwäsche in zwei Fällen vor.
Laut seinem Anwalt hingegen geht es bei diesem Verfahren um etwas, das hier gar nicht verhandelt werden könne. Es gehe um eine abwesende Person, „manche nennen sie die Kryptoqueen“. Sie sei es, die befragt werden müsse. Dass sein Mandant von einem angeblichen Onecoin-Betrug Kenntnis gehabt habe, stehe an keiner Stelle der Anklage. Aber ohne eine zugrundeliegende Straftat, ohne den Betrug, falle der Vorwurf der Geldwäsche in sich zusammen. Weil nun trotz jahrelanger Ermittlungen keine Kryptoqueen hier sitze, stürze sich die Staatsanwaltschaft eben auf seinen Mandanten. „Manches spricht dafür, dass hier andere Protagonisten sitzen müssten.“
Ähnlich argumentiert der Verteidiger des Mannes aus Greven. Sein Mandant habe selbst an die Legitimität von Onecoin und den Wert der Münzen geglaubt, sonst hätte er Ende 2015 wohl kaum seine Firma an Ruja Ignatova verkauft – für einen Millionenbetrag, der teilweise in Onecoin ausgezahlt worden sei.
Das Geschäftsfeld, in dem der Mann aus Greven schon vor Onecoin tätig war, nennt sich Multi-Level-Marketing. Das Tupperware-Prinzip. Nach ihm funktionierte auch Onecoin. Die Investoren wurden automatisch zu selbständigen Vertriebspartnern und konnten Onecoin-Pakete verkaufen, die Schulungsmaterial über Kryptowährungen enthielten, außerdem sogenannte Tokens, die Kunden in Onecoin umwandeln konnten – angeblich nur als eine Art Beigabe. Für den Verkauf solcher Pakete, die bis zu 118 000 Euro kosteten, bekamen die Vertriebspartner Provisionen. Wenn die Menschen, denen sie Pakete verkauft hatten, ihrerseits Pakete verkauften, bekamen sie einen Teil von deren Provisionen ab. Und ebenso von den Kunden dieser Kunden, die wiederum zu neuen Vertriebspartnern wurden. So bildeten sich pyramidenförmige Strukturen, entlang derer ein Teil der Umsätze floss – immer nach oben.
Multi-Level-Marketing ist unter bestimmten Voraussetzungen legal. Häufig operieren solche Unternehmen hart an der Grenze zwischen legalem Marketingnetzwerk und illegalem Schneeballsystem. Der Mann aus Greven sei, laut seinem Verteidiger, „seit nahezu 40 Jahren ein weltweit bekannter Geschäftsmann in Multi-Level-Marketing-Modellen und Firmen, mit großem internationalen Erfolg“. Der Blog behindmlm.com warnt vor dubiosen Multi-Level-Marketing-Vertriebssystemen. Wenn man dort nach seinem Namen sucht, erhält man 135 Treffer.
Was wussten die Angeklagten über den mutmaßlichen Betrug, der nun in Abwesenheit der „gesondert verfolgten Frau“, wie sie in den Akten heißt, aufgearbeitet wird? Mussten sie es überhaupt im Detail wissen, was IT-technisch und finanztechnisch eine echte Kryptowährung ausmacht? Für eine Verurteilung wegen Geldwäsche reiche es aus, so der Vorsitzende Richter, billigend in Kauf zu nehmen, dass das Geld möglicherweise aus einem Betrug stammt. Daher die Erweiterung der Anklage. Die Mundwinkel des Münchner Anwalts sind noch immer tief nach unten gezogen, als der Vorsitzende den ersten Verhandlungstag beendet.
Jeder kann reich werden, versprach Ruja Ignatova, Juristin aus dem Schwarzwald. Millionen Menschen investierten in ihre digitale Währung. Doch die war ein riesiger Betrug – und von der "Kryptoqueen" fehlt jede Spur.
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