Stand: 11.08.2021 08:14 Uhr
Ob Pest oder die Spanische Grippe: Globale Seuchen haben Gesellschaft und Wirtschaft mehrfach tiefgreifend verändert. Und nach mancher Krise eröffneten sich neue Chancen. Über die paradoxen Spätfolgen von Pandemien.
Verheerende Pandemien hat es immer wieder gegeben. Ein historisches Beispiel ist die Pest im 14. Jahrhundert. Die hochansteckende Infektionskrankheit kam ursprünglich aus Zentralasien und breitete sich dann über die Handelswege in ganz Europa aus. Kinder und alte Menschen, Kaufleute, Bettler, Handwerksgesellen, hohe kirchliche Würdenträger – sie alle waren vom „schwarzen Tod“ gezeichnet.
Wer konnte, floh. Städte, ja ganze Landstriche wurden verlassen – so beschrieb es der italienische Schriftsteller Giovanni Boccaccio in seinem „Decamerone“:
Im November 1918 waren nach dem großen Krieg Häuser, Höfe und Fabriken vielerorts dem Erdboden gleich gemacht, Soldaten verkrüppelt und traumatisiert. In dieser Situation tauchte auf einmal ein neuer Feind auf: Die Spanische Grippe. „Gerade die kräftigsten Menschen werden am stärksten von ihr gepackt“, schrieb damals ein deutscher Soldat in einem Feldpostbrief. „Und es ist ein Jammer, wie die Leute in dem Waldlager, in dem wir zur Zeit liegen, herumliegen, völlig apathisch. Und man kann ihnen kaum helfen.“
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Auch vor hundert Jahren mussten Regierungen mehrere Infektionswellen bekämpfen – und reagierten oft falsch.
Dass Seuchen oft plötzlich kommen und ihre Ursachen anfangs schwer zu lokalisieren sind, macht ihre unmittelbare Wirkung so verheerend – für die Betroffenen, für die Gesellschaft insgesamt und auch für die Wirtschaft. Das sei wie eine Zäsur, sagt der Ökonom Friedrich Heinemann vom Mannheimer Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung: „Die Forschung zeigt, dass Pandemien fast so schädlich sein können wie Kriege.“ Sie können also ein enormes zerstörerisches Potential haben.
Doch so paradox das klingen mag: Nach solch einschneidenden Ereignissen können, ist die Krise überwunden, auf lange Sicht durchaus positive Effekte folgen – gerade weil nichts mehr so ist, wie es vorher einmal war. Nach der Pest konnte man das in vielen westeuropäischen Regionen beobachten: Es lebten weniger Menschen im Land, Arbeit wurde knapp und teuer. Es stiegen also die Löhne. Bevölkerungsschichten, die vorher am Existenzminimum vegetierten, erbten Geld.
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Rohstoffmangel bei anziehender Konjunktur lässt Preise steigen. Besteht für die Politik Handlungsbedarf?
Das alles beschleunigte Veränderungsprozesse, sagt der Wirtschaftshistoriker Jan-Otmar Hesse. „Es wird davon ausgegangen, dass sich im Verlauf von zwei-, dreihundert Jahren durch die höheren Einkommen wirtschaftliche Wachstumsprozesse eingestellt haben und letztlich die industrielle Revolution dadurch mit forciert worden ist.“
Ähnlich war es zu Beginn des 20. Jahrhunderts. „Die Spanische Grippe war auf alle Fälle die tödlichste aller Pandemien, mit 50 bis 100 Millionen Toten, so sind die Schätzungen“, sagt Hesse. Aber: Als die Schlachten des Ersten Weltkriegs geschlagen und die Spanische Grippe ausgestanden war, folgte ein Jahrzehnt des Aufbruchs, wirtschaftlich, gesellschaftlich und kulturell – das waren die „wilden“ 1920er-Jahre.
Nach der weltweiten Katastrophe der Spanischen Grippe folgte ein Jahrzehnt des Aufbruchs. Bild: picture alliance / akg-images
Ähnlich optimistisch sind die Prognosen für die Zeit nach Corona – wenn es gelungen ist, die Pandemie endlich in den Griff zu bekommen. Martin Lück vom Vermögensverwalter Blackrock spricht von einem ökonomischen „Neustart“, den es geben werde. „Das heißt, wir kommen aus der Pandemie heraus, aus den Lockdowns heraus. Die Wirtschaft wird quasi auf Knopfdruck neu gestartet, und dann sind die Erwartungen naturgemäß extrem stark, auch unverhältnismäßig stark“, sagt Lück. „Diese Pandemie ist ja eher mit einer Naturkatastrophe zu vergleichen als mit einem normalen ökonomischen Zyklus.“
Aber es gibt negative Folgeerscheinungen. Die Inflation steigt deutlich. Immobilien, Rohstoffe, Baumaterialien, Sprit und Heizöl: Fast alles wird teurer. Es kommt zu Lieferengpässen, in vielen Fabriken stehen die Bänder zwischenzeitlich still. Sind das Folgen der Pandemie? Der wirtschaftliche Aufschwung nach einer Pandemie hat seinen Preis, so sagen Ökonomen.
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Fehlende Teile und Vorprodukte werden zu einem immer größeren Problem für die deutsche Industrie.
Für den Ökonomen Heinemann ist Covid so etwas wie ein „Innovationsbeschleuniger“: „Die Entwicklung war ein Schock, der gekommen ist in einer Ära, in der uns unglaubliche digitale Instrumente zur Verfügung stehen – in der Kommunikation, in der Art und Weise, wie wir unsere Produktion und unser Miteinander organisieren.“
Normalerweise wären das alles Prozesse gewesen, die über Jahre, wenn nicht gar über Jahrzehnte gelaufen wären. Die Corona-Pandemie hat sie ungeheuer beschleunigt.
Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 26. Juli 2021 um 11:00 Uhr.
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