Stand: 07.09.2021 15:10 Uhr
Stärker als von Experten erwartet ist die Wirtschaftsleistung in der Eurozone im zweiten Quartal gestiegen. Die Konjunkturerholung scheint in vollem Gange zu sein. Doch Risiken und Zweifel bestehen weiter.
Das Bruttoinlandsprodukt des Euroraums ist zwischen April und Juni um 2,2 Prozent gewachsen. Das Statistikamt Eurostat korrigierte mit der Mitteilung dieser Wachstumsrate seine frühere Schätzung um 0,2 Prozentpunkte nach oben.
Zu Jahresbeginn war die Wirtschaft der Eurozone noch um 0,3 Prozent gegenüber dem Schlussquartal 2020 geschrumpft – Ende 2020 gar um 0,4 Prozent. Wie sehr die Euro-Wirtschaft gegenüber dem Konjunkturknick im vergangenen Jahr wieder aufgeholt hat, zeigt sich im Vorjahresvergleich: Im zweiten Quartal 2021 lag das Bruttoinlandsprodukt um revidiert 14,3 Prozent höher als im zweiten Quartal 2020.
Die Corona-Zahlen sinken, das wirtschaftliche Leben normalisiert sich und die Konjunktur zieht wieder an.
Ein Blick auf die einzelnen Mitgliedsstaaten der Eurozone zeigt allerdings eine unterschiedliche Dynamik bei der Konjunkturbelebung: Unter den vier größten Volkswirtschaften des Währungsraums wuchs die spanische zwischen April und Juni besonders stark. Das BIP legte dort um 2,8 Prozent gegenüber dem Zeitraum von Januar bis März zu. Die italienische Wirtschaft wuchs um 2,7 Prozent, während das Wachstum der deutschen mit 1,6 Prozent und der französischen mit 1,1 Prozent merklich schwächer ausfiel. Absolute Wachstumsspitzenreiter waren im Quartal Irland (plus 6,3 Prozent) und Portugal (plus 4,9 Prozent). In Malta und Kroatien schrumpfte dagegen die Wirtschaftsleistung sogar leicht.
Für die Ungleichheit beim Wachstum gibt es verschiedene Gründe. Volkswirtschaften wie Spanien oder Österreich, wo das BIP um 3,6 Prozent wuchs, profitierten vom Wiederanlaufen des Tourismus in den Monaten April bis Juni. Länder wie Deutschland, Dänemark oder Schweden verbuchen auch deswegen nun ein geringes Wachstum, weil hier der Corona-Knick im vergangenen Jahr weniger stark ausgeprägt war.
Zudem dürften auch erste Effekte des Corona-Hilfsfonds in großen Volkswirtschaften des Euroraums zu spüren sein. Italien ist der größte Empfänger der Mittel aus dem 750-Milliarden-Euro-Paket und bezieht rund 191 Milliarden Euro. Italiens Regierung rechnet, auch wegen der Corona-Hilfen, für das laufende Jahr mit einem Wirtschaftswachstum von mindestens 5,8 Prozent gegenüber dem Jahr 2020. Auch Spanien und Frankreich erhalten hohe Milliardensummen aus dem Fonds, dessen Mittel etwa zur Hälfte aus nicht rückzahlbaren Zuschüssen besteht. Für die Tilgung der Kredite haben die Länder bis zu 30 Jahre Zeit.
Ob die Mittel aus dem Hilfsfonds nachhaltig das Wachstum in den Empfängerländern stimulieren werden, wird sich in den kommenden Quartalen zeigen. Als fragil könnte sich die Konjunkturbelebung auch dann herausstellen, wenn eine vierte Corona-Welle wieder zu stärkeren Beschränkungen im öffentlichen Leben und bei Reisen führen sollte.
Die deutschen Industrie kämpft weiter mit Lieferengpässen infolge der Corona-Pandemie.
Auch wenn die Euro-Wirtschaft nun wieder wächst: Basierend auf saisonbereinigten Zahlen lag das BIP noch immer 2,5 Prozent unter seinem höchsten Wert vom vierten Quartal 2019 – also vor Ausbruch der Pandemie. In den USA ist die Konjunkturerholung schon weiter fortgeschritten: Dort lag das BIP im Frühjahr um 0,8 Prozent über dem Niveau des Schlussquartals von 2019.
Die EU-Kommission sagt für das laufende Jahr beim BIP der Eurozone ein Plus von 4,8 Prozent voraus. Laut Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni könnte das Wachstum sogar noch höher ausfallen. Die Stimmung bei den Firmen sei gut. Die Wirtschaft habe offenbar gelernt, mit den abgeschwächten Pandemie-Einschränkungen zu leben.
Die Stimmung bei vielen Finanzexperten ist offenbar für die kommenden Monate nicht annähernd so gut, das zeigt der ZEW-Index der Konjunkturerwartungen, den das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung am Vormittag veröffentlichte. Die befragten Finanzprofis, Analysten und Volkswirte, gehen offenbar nun eher von einer konjunkturellen Abkühlung aus: Das Stimmungsbarometer fiel gegenüber dem Vormonat um 13,9 Punkte auf 26,5 Zähler. Noch im Mai hatte der Indikator den höchsten Stand seit gut zwei Dekaden erreicht. Seitdem ist der Indikator vier Mal in Folge gefallen. „Der Chipmangel im Fahrzeugbau und die Ressourcenverknappung in der Bauwirtschaft haben zu einem deutlichen Rückgang der Ertragserwartungen dieser Branchen geführt“, erklärte ZEW-Präsident Achim Wambach.
Die Bewertung der aktuellen Lage hat sich im September dagegen leicht verbessert. Der Indikator stieg um 2,6 Punkte auf 31,9 Zähler. Die befragten Experten gingen zwar von einer Verbesserung der wirtschaftlichen Lage aus. Das erwartete Ausmaß und die Dynamik der Verbesserung hätten sich inzwischen jedoch erheblich reduziert, so Wambach. Bankvolkswirte deuteten die Entwicklung als Indiz für eine bevorstehende Konjunkturabkühlung. „Die Weichen sind auf Abkühlung gestellt“, erklärte Thomas Gitzel, Chefvolkswirt der Liechtensteiner VP Bank.
Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 06. September 2021 um 17:00 Uhr.