Renate Rudolph zeigt eine Jacke für Rollstuhlfahrer. © Stefanie Banner, NN
Schnaittach – Sie hat aus ihrer Leidenschaft, Menschen zu helfen, ein Unternehmen gemacht: Renate Rudolph entwirft und verkauft funktionale Bekleidungsstücke für Rollstuhlfahrer – und das in ihrem hohen Alter.
Renate Rudolph wartet schon an der ziemlich steilen Außentreppe, die in ihre Firmenräume unter dem Dach eines zweigeschossigen Gebäudes führt. Über der Werkstatt im Erdgeschoss befinden sich drei Schreibtische und das Lager der Rulatex Bekleidung GmbH. Hier hängen Jacken und Capes an Kleiderstangen, und es stapeln sich braune Kisten mit weiteren Kleidungsstücken, welche die Firma von Renate Rudolph seit 25 Jahren herstellt. Es handelt sich um keine gewöhnliche Kleidung; die Jacken, Capes, Hosen und Fußsäcke haben eine besondere Zielgruppe: Rollstuhlfahrer und mehrfach behinderte Menschen.
Mit einem Lächeln erinnert sich Renate Rudolph an die Anfänge ihrer Firmengründung zurück – das war zu einer Zeit, 1996, als ihr Mann eigentlich darüber nachdachte, in Rente zu gehen. Das Ehepaar hatte vor vielen, vielen Jahren die Firma von Renate Rudolphs Eltern übernommen, die in Lauf einen Konfektionsbetrieb geführt hatten. Sie als Schneidermeisterin und Technikerin, er mit dem kaufmännischen Wissen. Mit dem Umzug nach Schnaittach spezialisierte sich die Familie Rudolph auf Nischenprodukte wie Bekleidung für Radfahrer und Jäger. "Wir haben vor allem Loden und Gore-Tex verarbeitet", erzählt sie.
1996 lernte sie über ihren Sohn einen dreijährigen Jungen kennen, der im Rollstuhl saß, und dessen Mutter sich darüber beklagte, dass es keine geeignete Kleidung für ihr Kind gäbe. Da reifte in Renate Rudolph eine Idee, die sie immer weiter ausbaute. Ihr Mann konnte sie nicht abhalten und schlug vor, die neue Marke "Renato" zu nennen – nach seiner Frau. "Im Wichernhaus in Altdorf habe ich gelernt, wie funktionale Kleidung für Rollstuhlfahrer aussehen muss. Es gibt ja so viele verschiedene Krankheiten, die die Betroffenen in den Rollstuhl bringen", sagt sie und beschreibt die Anforderungen der behinderten Menschen, die sich in ihrer Kleidung auch wohl fühlen sollen.
Renate Rudolph ärgert sich darüber, wenn Firmen ein Radfahrer-Regencape für zehn Euro aus dem Supermarkt mit dem Label "für Rollstuhlfahrer" versehen und dann 180 Euro dafür verlangen. "Das sitzt hinten und vorne nicht." Sie packt ein Cape aus, das von ihr entworfen wurde, und zeigt, worauf es ankommt. Im Erdgeschoss gebe es zwar eine Werkstatt mit Nähmaschinen, doch hier erstellten ihre beiden technischen Mitarbeiterinnen neue Schnitte oder fertigten Einzelstücke. Die Serienproduktion übernimmt seit langer Zeit eine Näherei in Polen, für deren Mitarbeiter Renate Rudolph nur Lob übrig hat. Auf gute Qualität legt die mittlerweile 86-Jährige viel Wert.
Blick in die Werkstatt: Hier werden Einzelanfertigungen gemacht und neue Modelle kreiert. © Stefanie Banner, NN
Eigentlich würde sie ihren Betrieb aufgrund ihres Alters gerne abgeben; dass sie – mit Hilfe ihrer Mitarbeiterinnen – jedoch die Geschäfte weiterhin führt, hat mehrere Gründe: "Die Arbeit hält mich fit. Wenn ich mich mit Bekannten treffe und ihre Gespräche über Krankheiten und Arztbesuche höre, wünsche ich mich oft ins Büro zurück", erzählt sie.
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Ein anderer, noch wichtigerer Grund ist: Renate Rudolph findet keinen Nachfolger. "Keine meiner drei Angestellten traut sich zu, die Firma zu übernehmen. Es gibt zwar Interessenten, aber bisher hat keiner richtig gepasst." Und ihre Kinder hätten auch andere Berufe, die sie nicht aufgeben wollten.
Warum die 86-Jährige ausgerechnet jetzt aufhören möchte, begründet sie schulterzuckend mit: "Weil ich in meinem Alter nicht mehr viel Zukunft sehe und morgen tot sein könnte." Wer sich mit Renate Rudolph jedoch eine Weile unterhält, merkt schnell, dass in ihr noch viel Energie steckt – auch wenn die Augen kaum noch Bildschirmarbeit zuließen. Sie holt einen Ausdruck hervor, der eine Kundenauswertung zeigt. "Wir haben 11.000 treue Kunden in ganz Deutschland, obwohl ich noch nie Werbung gemacht habe und nur am Telefon und im Online-Shop verkaufe", sagt sie stolz. "Wahrscheinlich wären es sonst noch mehr, aber ich war schon immer bescheiden."
Am Anfang sei sie in vielen Pflegeheimen gewesen, um dort ihre Spezialkleidung bekannter zu machen. "Das hat sich dann herumgesprochen. Viele Kunden schreiben mir, wie glücklich sie mit meiner Ware sind, und manche muss ich am Telefon erst überzeugen, dass sie keine Einzelanfertigung benötigen, weil die Serienteile so konstruiert sind, dass sie 98 Prozent der Kunden passen", so die Geschäftsführerin. "Wenn die Kleidung dann gut sitzt, sind viele überrascht, woher ich das wusste." Aber nicht umsonst ist Renate Rudolph, was das Schneidern und Entwerfen von Kleidung betrifft, eine Fachfrau durch und durch, die ihre Arbeit liebt. Vielleicht tut sie sich deshalb so schwer, einen überzeugenden Nachfolger zu finden. Traurig sagt sie: "Hoffentlich findet sich bald eine Betriebswirtschaftlerin mit Elan und Unternehmergeist.“
www.renato.de
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