Nicht mal die AfD kann die AfD bezwingen. Trotz ständiger Streitigkeiten liegt die Partei in Umfragen zur Wahl in MV auf dem zweiten Platz. Beim Besuch in der Nordkurier-Redaktion sprach Spitzenkandidat Nikolaus Kramer mit den Reportern Andreas Becker und Carsten Schönebeck über politische Partnerschaften in Schwerin, gierige Unternehmer und ein neues Atomkraftwerk für Mecklenburg-Vorpommern.
Herr Kramer, Sie und Ihre Fraktion saßen jetzt fünf Jahre im Landtag. Haben Sie eigentlich einen einzigen Antrag durchbekommen?
Nein, nicht direkt.
Was macht das mit einem, wenn man schon vorher weiß, dass jeder Vorschlag abgelehnt wird?
Gerade am Anfang hatte ich natürlich das Gefühl, dass man für den Papierkorb arbeitet. Ich würde schon sagen, dass ich da auch ein Stück meines Idealismus eingebüßt habe. Mir ist ja relativ egal, ob ein Antrag von den Linken oder von der Regierung kommt, wenn er etwas Gutes darstellt, für unser Land und für die Menschen, die hier leben. Unsere Anträge sind aber schon deshalb abgelehnt worden, weil sie von uns kamen. Wir haben dann aber relativ schnell gemerkt, dass einige Dinge durch die Hintertür umgesetzt werden.
Was meinen Sie damit?
Unsere Anträge werden abgelehnt, aber der Druck reicht, um die Regierung dazu zu bringen, eigene – oft ganz ähnliche – Vorschläge einzubringen. Wir waren zum Beispiel die ersten, die Anträge zur Abschaffung der Straßenausbaubeiträge gestellt haben. Letzten Endes hat sich die Regierung dann dem Druck der Bürgerinitiativen gebeugt und die Beiträge selber abgeschafft.
Hinter den Kulissen gibt es angeblich aber ganz gute Kontakte zu anderen Fraktionen
Ja, hinter verschlossenen Türen geht man ganz anders mit uns um. Es gibt da schon ein Vertrauensverhältnis. Da werden wir auch mal gefragt, ob wir bestimmten Anträgen zustimmen könnten. Auch wenn man auf keinen Fall will, dass wir als Antragsteller mitaufgeführt werden.
Gibt es diese Kontakte mit allen Fraktionen?
Eher zur CDU. Mit der Linken eher wenig, obwohl wir mit denen inhaltlich eigentlich die größten Schnittmengen haben. Die haben das ja auf einem Parteitag beschlossen, dass sie mit uns nicht kommunizieren. Dabei hätten wir gemeinsam zum Beispiel im Untersuchungsausschuss zum AWO-Skandal ganz andere Anträge stellen und noch tiefer graben können, wenn die Linke nicht so ideologisch borniert gewesen wäre.
Zu Beginn der Corona-Krise hat sich die AfD auch selbst ins Abseits gestellt. Erst haben sie Corona weggeleugnet, dann wurde diese Position doch wieder aufgeweicht. Wie ist das gekommen?
Also ganz am Anfang war es die AfD, die zum Beispiel eine Maskenpflicht gefordert hat, als sich die anderen noch dagegen gestellt haben. Die Bilder aus Italien, die Särge… wir wussten doch alle nicht so richtig, wie gefährlich das Virus wirklich ist. Dann hat sich aber schnell herausgestellt, dass es nur so eine Art Grippe mit etwas anderem Verlauf ist. Das hat bei uns zu einem Schwenk geführt. Ich würde nicht so weit gehen zu sagen, wir haben es geleugnet, wir haben aber klar gesagt: Der Mensch und sein freier Wille müssen im Vordergrund stehen. Ich würde nie jemanden verurteilen oder auslachen, der rund um die Uhr Maske trägt, auf soziale Kontakte verzichtet oder sich impfen lässt. Uns gehen aber diese restriktiven Maßnahmen zu weit. Vieles ist bei uns in der Fraktion auch ganz kontrovers debattiert worden, mit ganz engen Entscheidungen am Ende.
Wie stehen Sie zur Corona-Impfung?
Ich persönlich lasse mich nicht impfen. Ich bin kein Impf-Gegner, ich bin gegen alle üblichen Kinderkrankheiten geimpft. Aber für mich ist das zur Prinzipienfrage geworden. Wir erleben da einen Impfzwang durch die Hintertür und ich werde mich diesem Druck nicht beugen. Keiner kann sagen, ob das medizinisch sinnvoll ist. Da gibt es Widersprüche, wir sehen Impfdurchbrüche…
Es gibt doch aber eine Reihe von Instituten und Behörden, die genau das untersucht haben…
Aber es gibt keine Langzeitstudien. Ich will den Teufel nicht an die Wand malen, aber was ist denn, wenn in zwei Jahren alle sterben, die geimpft wurden?
Die AfD wirkt vielfach zerstritten. In den vergangenen Monaten gab es regelmäßig interne Kämpfe, teilweise sind AfD-Vertreter öffentlich übereinander hergefallen. Trotzdem stehen Sie in den Umfragen stabil da.
Das große Verdienst der Landtagsfraktion ist, dass wir trotz unterschiedlicher Auffassungen ein geschlossenes Bild abgegeben haben. Das wünsche ich mir natürlich auf für den Landes- und den Bundesverband. Im Wahlkampf höre ich oft von Leuten: Ihr macht die richtige Politik, aber ihr seid so ein zerstrittener Haufen und deswegen habe ich Angst, dass meine Stimme verschenkt wäre. Einige in unserer Partei haben leider nicht verstanden, dass man bestimmte Dinge einfach nicht nach außen trägt und nicht sein eigenes Nest beschmutzt.
Nennen Sie doch mal Gründe, warum ein Großteil der Fraktion jetzt ausgetauscht wird und gar nicht mehr auf der Landesliste steht.
Der eine oder andere wollte aus ganz unterschiedlichen Gründen nicht noch mal kandidieren. Und warum der Parteitag die Liste so gewählt hat, das müssen sie die Mitglieder an der Basis fragen.
Aber mit dem Ergebnis des Parteitags, das viele nach der Wahl nicht mehr zur Fraktion gehören, können Sie doch ganz gut Leben, oder?
Ich kann damit gut leben, dass die jetzige Landesliste eine gut durchmischte Liste ist – mit Spezialisten aus allen Fachbereichen. Wir haben uns verjüngt und wir haben uns professionalisiert. Da wird noch mehr Drive und Input kommen, als bisher. Und darauf freue ich mich.
Trotzdem brodelt es an der Basis. Wie wollen Sie das wieder in den Griff bekommen?
In erster Linie geht es darum, dass die Protagonisten sich alle mal an einen Tisch setzen und über bestimmte Dinge reden. Ich zum Beispiel mache auch immer wieder Gesprächsangebote. Aber wenn die ausgestreckte Hand immer wieder ausgeschlagen wird, dann sind wir irgendwann am Ende des Machbaren. Ganz wichtig ist, dass wir endlich mal einen Parteitag haben, auf dem das zur Sprache kommt. Corona hat uns da einen Strich durch die Rechnung gemacht. Wir brauchen so ein reinigendes Gewitter. Dann wird man auch wieder an einem Strang ziehen.
Sie haben gesagt, dass die AfD ohne all diese Querelen mehr Wähler überzeugen könnte. Beschreiben Sie doch mal: Wer sind eigentlich diese Wähler der AfD?
Ich denke, dass sich ein der Großteil unserer Wähler aus den Menschen im Land rekrutiert, die sich abgehängt fühlen. Wenn man anfängt mit grünen Phantastereien flächendeckend von Elektroautos zu reden, den Dieselmotor zu verbieten… Erzählen Sie das mal einem Maurer oder eine Friseurin in Hintersee, die jeden Tag 35 Kilometer zur Arbeit fahren müssen, aber nur 1200 Euro netto haben. Solche Menschen fühlen sich von der Politik einfach im Stich gelassen. Unsere Wähler sind nicht die sogenannten Wutbürger, die hatten wir natürlich 2016 auch. Vor allem durch die Katastrophe der Migratioswelle, durch das Scheitern der Bundesregierung.
Wie wollen Sie diese Menschen, die sich nicht repräsentiert fühlen, an sich binden? Gibt es denn eine Perspektive auf direkte Macht für Ihre Partei?
Ich würde nicht von Macht sprechen. Wir wollen Verantwortung übernehmen, also auch regieren. Das wird nicht in der kommenden Legislatur passieren. Aber möglicherweise in der darauffolgenden oder der danach. Man wird an uns einfach nicht vorbeikommen.
Und die größten Schnittmengen sehen Sie bei den Linken?
Im Programm ja, aber das heißt nicht, dass wir uns da eine Koalition vorstellen können. Dafür gibt es zu große Unterschiede in der Wirtschaftspolitik, bei der Energiepolitik, beim Thema Migration. Das ist keine bürgerliche Politik. Als einziger Partner käme für uns derzeit die CDU in Frage. Man darf nicht vergessen, dass die AfD in Teilen aus einer Protestbewegung in der CDU entstanden ist. Aber damit es irgendwann zu einer Koalition kommt, müsste sich die Union noch ganz schön strecken. Die CDU hat zu viele konservative Werte und Themen über den Haufen geworfen. Ganz klassisches Beispiel war der Ausstieg aus der Atomenergie, als man die Axt an unsere Energieversorgung, an die mittelständische Wirtschaft gelegt hat.
Sie sprechen sich ja für eine Rückkehr zur Kernenergie aus…
Das ist aus unserer Sicht alternativlos.
Machen Sie doch mal einen Vorschlag für einen Standort in MV…
Warum nicht wieder Lubmin? Die modernen Reaktoren sind ja bei weitem nicht mehr so groß, dafür muss man nicht riesige Flächen versiegeln.
Noch mal zu der Schnittmenge mit den Linken: Ein großes Thema – gerade in MV – ist der Mindestlohn. In der AfD umstritten, Sie sind ein Befürworter…
Ja!
Das ist ja manchmal so ein Überbietungswettkampf. Nennen Sie doch mal eine Zahl…
Wir halten den derzeitigen Mindestlohn für absolut ausreichend.
Aber andererseits haben sie auch schon – sehr sanfte – Kritik an den niedrigen Löhnen der Tourismusbranche geübt…
Ich unterstelle das nicht jedem einzelnen Unternehmer, aber gerade die großen Häuser im Hotel- und Gastronomiegewerbe beklagen, dass es keine Mitarbeiter gibt. Und mich wundert das nicht. Wenn ich die Mitarbeiter nicht bezahle, wie sie es verdient haben, dann brauch ich mich doch nicht zu wundern, dass sie weglaufen.
Haben Sie den Eindruck, da stecken sich zu viele Unternehmer das Geld in die eigene Tasche oder müssen die Kunden, also die Urlauber, in Zukunft mehr bezahlen?
Ich kenne die konkreten Gewinnmargen nicht, aber mein Eindruck ist schon, dass man mehr an die Angestellten durchreichen müsste, auch um sie zu motivieren. Wenn ich eine Restaurantfachfrau einstelle, die morgens vom Chef noch zusätzlich vergattert wird die Hotelzimmer zu reinigen und dann noch schlecht bezahlt wird, ist doch klar, dass die Leute weglaufen. Erst recht, wenn die Miete für eine normale Wohnung auf Usedom so teuer ist, als würde man in Köln im Penthouse leben. Jetzt versucht man in Vietnam und in der Ukraine Arbeitskräfte zu rekrutieren, weil die mit den Geldern zufrieden sind und möglicherweise auch mit der Besenkammer, die man ihnen als Unterkunft anbietet.
In den beliebten Urlaubsregionen können sich viele Einheimische Mieten oder Grundstückspreise gar nicht leisten…
Die Frage ist doch: Wieviel Tourismus verträgt unser Land? Wir sind da kurz vor dem Verkehrsinfarkt, wenn nicht schon längst darüber hinaus. Wenn ich dann von diesen Großprojekten zum Beispiel auf Rügen lese, da wird mir angst und bange.
Sie sind Spitzenkandidat, sie wollen ja aber auch ein Direktmandat holen. Dabei gibt es eine Auffälligkeit…
Ich habe den Wahlkreis gewechselt.
Ja. Sie sind Greifswalder, sind da kommunalpolitisch aktiv, sind 2016 da angetreten. Warum jetzt plötzlich der Wahlkreis Ueckermünde/Torgelow?
Ich bin jemand, der die Herausforderung sucht. Und mein Ziel ist es das Direktmandat gegen den Vorpommern-Staatssekretär Patrick Dahlemann zu gewinnen.
Und gegen CDU-Chef Michael Sack und Verkehrsminister Christian Pegel in Greifswald, das wäre für Sie keine Herausforderung gewesen?
Herausforderung schon, aber keine machbare.
Und jetzt sind Ihre Chancen realistischer im Dahlemann-Wahlkreis?
2016 war es da sehr knapp zwischen Dahlemann und unserem Kandidaten Stephan Reuken. Das mag jetzt vermessen klingen, aber als Spitzenkandidat bin ich nun mal das Gesicht der AfD und entsprechend bekannt und insofern habe ich auch bei der Bewerbung gesagt: Wer, wenn nicht ich, kann den Dahlemann quälen. Und das hat die Parteiversammlung dann offenbar auch so gesehen. Dahlemann quälen, Kramer wählen!
Ein Thema, das den Wahlkampf in den vergangenen Wochen teilweise überlagert hat, war die Situation in Afghanistan. Sie haben sich sehr deutlich gegen die Aufnahme von Ortskräften aus Afghanistan ausgesprochen. Steht Deutschland bei diesen Leuten nicht im Wort?
Genau das ist das große Problem. Der Fehler ist vor 20 Jahren entstanden, indem wir dahin gegangen sind und versprochen haben, wir bringen euch die Demokratie, wir bringen euch den Frieden. Im Grunde war doch klar, dass das nicht funktioniert. Ich kann einem anderen Volk, einer anderen Kultur, nicht meinen eigenen Kulturkreis aufoperieren. Man muss sich jetzt nicht für den ungeordneten Rückzug und diese politische und menschliche Katastrophe entschuldigen. Sondern man sollte sich dafür entschuldigen, dass vor 20 Jahren Dinge versprochen wurden, bei denen im Grunde jedem klar war, dass man sie nicht halten kann.
Ok, aber Sie reden jetzt vom großen Bild. Was ist mit den einzelnen Menschen, den Partnern oder Mitarbeitern vor Ort, denen man Versprechungen gemacht hat?
Haben wir denen so ein Versprechen gegeben, dass wir sie durchbringen, wenn sie uns helfen? Ich bin der Meinung, die haben uns geholfen und dafür sind sie fürstlich entlohnt worden. Das sind de facto Söldner. Moralisch gibt es da keine Verpflichtung. Jetzt kann man über die humanitäre Verpflichtung streiten, aber es kann ja nicht mal die Bundesregierung sagen, um wie viele Menschen es geht, wenn über sogenannte Ortskräfte geredet wird. Dann kommt der Familiennachzug dazu. Wir wissen nicht: Sind das Islamisten, Terroristen. Da gibt es jetzt schon erschreckende Zahlen. Und da ist mir die Sicherheit der deutschen Bevölkerung wichtiger, als die irgendeiner Ortskraft. Und: Niemand wurde gezwungen “Ortskraft” zu sein.

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