Die Wirtschaftsprofessorin Monika Schnitzer von der Ludwig-Maximilians-Universität München (links) im Gespräch mit Siemens-Vorständin Judith Wiese.
Nach eineinhalb Jahren Coronavirus herrscht in der Wirtschaft Aufbruchstimmung. Ein „Weiter so“ soll es nicht geben. Aber der Weg in eine bessere Zukunft zeichnet sich gerade erst ab. Auftakt des SZ-Plan-W-Kongresses in Berlin.
Von .css-viqvuv{border-bottom:1px solid #29293a;-webkit-text-decoration:none;text-decoration:none;-webkit-transition:border-bottom 150ms ease-in-out;transition:border-bottom 150ms ease-in-out;}.css-viqvuv:hover{border-bottom-color:transparent;}Marc Beise
Monika Schnitzer ist Hochschullehrerin und gewohnt, Leistungen zu bewerten. Auf die Frage, welche Note sie der jetzt scheidenden Bundesregierung in Sachen Krisenbekämpfung gebe, sagt sie fünf Tage vor der Bundestagswahl ohne Zögern: „Gesamtnote Zwei.“ Wie es sich für eine akkurate Prüferin gehört, fallen die Zensuren in den einzelnen Fächern unterschiedlich aus. Was die Absicherung des Lockdowns durch Staatshilfen und Kurzarbeitergeld angeht: Note Eins bis Zwei. In der Schulpolitik reicht es leider nur für „maximal eine Drei. Und das ist schon sehr großzügig bewertet.“ Energie-Managerin Marie-Luise Wolff als Zweitkorrektorin votet die Prüflinge rigoros runter: „Das war schlechter.“ Und Siemens-Vorständin Judith Wiese gibt mit Blick auf die ungenügende Implementierung der Digitalisierung in den Schulen knallhart eine Fünf.
Die drei Führungsfrauen sitzen gemeinsam mit SZ-Chefredakteurin Judith Wittwer auf dem Podium in Berlin, das allein ist ja schon mal ein Statement: Man trifft sich wieder. Nichts gegen das Home-Office, das den Menschen und Betrieben mehr Flexibilität gebracht hat, da sind sich die Diskutantinnen einig, und klar: Es wird nie wieder so werden wie zuvor. Trotzdem ist es wichtig, wieder im unmittelbaren Austausch miteinander reden zu können, und das geschieht hier zur Eröffnung des „Plan W“-Kongresses im Eventloft Grande im Berliner Szeneviertel Friedrichshain; den Industriecharme im mehr als 100 Jahre alten historischen Spreespeicher gibt’s gratis dazu.
Ein Hauch von Normalität also, wie er ja auch mit Blick auf die wirtschaftliche Entwicklung zu beobachten ist, bestätigt Monika Schnitzer aus München. Sie ist eine der etabliertesten Wirtschaftsprofessorinnen Deutschlands und Mitglied des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, des höchstrangigen Beratergremiums der Bundesregierung. Mit den jeweils neuesten Daten ausgestattet, sieht sie eine „starke Erholung“ der Wirtschaft. Die Nachfrage ist angeschoben, so sehr, dass die Industrie jetzt mit Lieferschwierigkeiten kämpft; die Chips sind knapp. Aber das wird schon, und fürs nächste Jahr ist die Wirtschaftsweise ganz entspannt: „Wir kommen wieder auf Vorkrisenniveau.“
Judith Wiese bestätigt das exemplarisch für ihr Unternehmen, den großen Siemens-Konzern: Der hatte gerade sein bestes Geschäftsjahr seit Langem, sagt sie, und sei auf dem Weg in ein neues technologisches Zeitalter. Wiese ist seit Oktober 2020 im Siemens-Vorstand und als Arbeitsdirektorin für fast 290 000 Mitarbeiter zuständig. Als solche ist sie gewohnt, mit und über Menschen zu reden, und also gewinnt sie den aktuellen Krisen – Corona, Flut, Schulden – etwas Positives ab: „Die Krise hat den Blick geschärft, den Mensch in den Mittelpunkt zu stellen.“
Man müsse ja nur mal die Automesse IAA in München besucht haben, sagt Wiese, das sei eine „völlig andere Veranstaltung“ gewesen, „als das vor zwei Jahren in Frankfurt noch möglich schien“, Mensch statt Blech könnte man vielleicht sagen. Ein Anfang nur, gewiss, aber das Land steuere in Sachen Klimapolitik „auf einen Wendepunkt“ zu, und wenn es jetzt gelinge, die Chancen der Digitalisierung klug zu nutzen, dann könne „Nachhaltigkeit ein Wachstumsmotor sein“.
Aber das ist ja nur die halbe Wahrheit. Denn zukunftsfest ist das Land noch lange nicht, auch da sind sich die Diskutantinnen einig: Nicht nur in der Bildung (zur Erinnerung: Note Mangelhaft), auch in anderen Bereichen gebe es Defizite. „Haben wir wirklich etwas aus der Pandemie gelernt?“, fragt Marie-Luise Wolff, und hat selbst Zweifel: „“Wir reden ständig übers Home-Office, aber wir müssen doch daran arbeiten, wie man Zoonosen verhindert“, also von Tier zu Mensch überspringende Infektionskrankheiten wie zuletzt das Coronavirus. „Wir brauchen eine neue Siedlungspolitik, wir müssen die Vertreibung der Tiere aus ihren Lebensräumen beenden. Sonst stürzen wir von einer Krise in die nächste.“
Wolff ist Vorstandsvorsitzende von Entega, einem – wie sie selbst sagt – „altmodisch“ aufgestellten Energieversorger in Darmstadt, der allen Stufen von der Erzeugung bis zum Vertrieb von Strom abdeckt. Altmodisch? Der Konzern mit zwei Milliarden Euro Umsatz hat schon vor Jahren komplett auf Öko umgestellt, hat eine Milliarde Euro investiert in erneuerbare Anlagen, Windparks und ein hocheffektives Gaskraftwerk. Aber die Ökowende sei längst nicht geschafft, sagt Wolff. Dass die Klimaziele zuletzt erreicht worden seien, werde groß gefeiert, aber das habe nur mit dem Rückgang der Produktion in der Krise zu tun gehabt: „Jetzt reißen wir die Vorgaben wieder.“
Es muss noch viel passieren, das sagen unisono auch die Kanzlerkandidaten und die Kandidatin im Wahlkampf – aber was? Sind Verbote wirklich ein Innovationstreiber, wie die grüne Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock meint? Unions-Vormann Armin Laschet nennt das „Blödsinn“. Die Wirtschaftsweise Schnitzer, keine „Linke“, sagt dagegen: „Ja klar, aber …“ Ja klar, weil Verbote sehr wohl Veränderungen erzwingen können, und sie erinnert an das FCKW-Verbot in den Kühlschränken. Das einst berüchtigte Treibgas vermisse heute niemand mehr. Häufig seien aber auch andere, marktwirtschaftliche Maßnahmen sinnvoll, um Innovation fördern.
Auch Wolff erbittet eine differenzierte Betrachtung. Beim Verbrennermotor könne man ja mit einem Verbot arbeiten, beim Strom, von dem in Zukunft so viel abhänge, sei das so eine Sache. „Mal eben Kohlekraftwerke abstellen in zehn Jahren, so wird das nicht gehen. Das kann in gefährliche Situationen führen. Keinen Strom zu haben ist unvorstellbar.“
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