Stand: 27.08.2021 08:09 Uhr
Die US-Notenbank stützt die Wirtschaft mit monatlichen Anleihekäufen von 120 Milliarden Dollar. Doch damit dürfte bald Schluss sein, angesichts stark gestiegener Preise und einer erholten Konjunktur.
In diesem Jahr steht sie unter besonderer Beobachtung: die wichtigste geldpolitische Jahreskonferenz der US-Notenbanker, die üblicherweise in Jackson Hole in den Bergen von Wyoming, nun aber virtuell stattfindet. Grund sind die wiederholten Äußerungen der Währungshüter, die üppigen Krisenhilfen wieder zurückfahren zu wollen. Besonders den monatlichen Ankauf von Staatsschulden in Höhe von 120 Milliarden Dollar wollen die Notenbanker reduzieren.
Laut dem Protokoll der letzten geldpolitischen Sitzung der Federal Reserve (Fed) von Ende Juli haben sich mehrere Teilnehmer für diese Maßnahme ausgesprochen und halten Anfang des nächsten Jahres für den günstigsten Zeitpunkt, um damit zu beginnen. Der Bostoner Fed-Chef Eric Rosengren plädiert sogar dafür, die Anleihekäufe bis kommenden Sommer auf null herunterzufahren. Das wäre die Voraussetzung dafür, dass auch der Leitzins wieder steigen kann.
Investoren erhoffen sich deshalb von der heutigen Rede von Fed-Chef Jerome Powell erste Hinweise darauf, wann die Notenbank mit einer Reduzierung ihrer Anleihekäufe – im Fachjargon „Tapering“ genannt – beginnen könnte. Dass die Notenbank aus ihrer expansiven Politik aussteigen muss und wird, steht für die meisten Ökonomen außer Frage.
Die Inflationsrate in der EU ist auf den höchsten Stand seit 2018 gestiegen.
Sie verweisen auf den starken Anstieg der US-Verbraucherpreise von zuletzt 5,4 Prozent. Zwar soll sich die Inflationsrate nach Überzeugung der Notenbank in den kommenden Monaten wieder zurückbilden, doch immer mehr Experten betrachten diese Analyse mit Skepsis. „Wir erwarten bis Jahresende weiter sehr hohe Werte für die US-Inflation von etwa fünf Prozent“, sagt Commerzbank-Ökonom Bernd Weidensteiner. Er geht davon aus, dass sich die Verbraucherpreise erst im kommenden Jahr abschwächen, die Rate aber höher bleiben wird als zuletzt erwartet. Angestrebtes Ziel der Fed ist eine Inflation von rund zwei Prozent.
Ausgelöst wurde der hohe Anstieg der Verbraucherpreise nicht wie früher durch üppige Lohn- und Gehaltssteigerungen, sondern durch Engpässe, die eine Notenbank kaum beeinflussen kann. Der Industrie mangelt es an Vorprodukten, Rohstoffen und Arbeitskräften. Tatsächlich häufen sich in den letzten Wochen Berichte über immer neue Lieferprobleme, nicht nur von elektronischen Halbleitern, sondern auch bei einfachen Rohmaterialien wie Holz. Die dadurch gestiegenen Preise werden sich, wenn auch etwas abgebremst, auch auf die Endprodukte und damit die Verbraucherpreise auswirken. „Die Inflation in den USA droht sich damit zu verfestigen“, prophezeit Ivan Mlinaric, Geschäftsführer des Düsseldorfer Vermögensverwalters Quant.Capital Management GmbH.
Für die Verbraucher bedeuten die höheren Preise einen schmerzhaften Kaufkraftverlust – nicht nur in den USA, sondern auch hierzulande. Laut Statistischem Bundesamt waren die Reallöhne in Deutschland im ersten Quartal 2021 zwei Prozent niedriger als im Vorjahresquartal. Dabei betrug die Inflationsrate in diesem Zeitraum nur 1,3 Prozent. Der aktuelle, signifikante Anstieg der Verbraucherpreise begann erst danach.
Die rasant gestiegene Inflation lässt den Realzins für Ratenkredite ins Negative purzeln.
Sind also demnächst hohe Lohnforderungen zu erwarten, die eine Lohn-Preis-Spirale lostreten könnten? In den USA gibt es dafür erste Warnsignale, wie die Entwicklung der Löhne in den letzten beiden Monaten zeigt: Sie sind im Juni um über fünf Prozent, im Juli um gut vier Prozent gestiegen, in der Industrie sogar um 4,7 Prozent. Aber auch Dienstleister wie Amazon, McDonald’s, Chipotle oder Bank of America haben wegen des grassierenden Personalmangels ihre Mindestlöhne kräftig anheben müssen. Sollte sich diese Entwicklung ausweiten, drohe den USA eine Lohn-Preis-Spirale, warnt Edgar Walk, Chefvolkswirt der Frankfurter Privatbank Metzler.
In Europa sei die Lohndynamik bisher noch gedämpft, da die hiesige Wirtschaft der US-Wirtschaft etwa sechs bis neun Monate hinterherhinke, so Walk. Deshalb sei die Inflationsrate in der Eurozone auch niedriger als in den USA. Auch Vermögensverwalter Mlinaric gibt Entwarnung: Sehe man einmal von Aktionen politisch motivierter Spartengewerkschaften ab, sprächen die aktuellen Tarifvereinbarungen hierzulande nicht für überzogene Lohnforderungen.
Ungeachtet steigender Preise ist ein Ende der lockeren Geldpolitik in der Eurozone weiter nicht in Sicht.
Während die Fed also durchaus unter Handlungsdruck steht, gibt es für die Europäische Zentralbank (EZB) zunächst keinen Grund für einen raschen Kurswechsel. Tatsächlich hat deren Präsidentin Christine Lagarde noch vor der Sommerpause erklärt, an der derzeitigen Politik der Anleihekäufe und der Nullzinsen unverändert festhalten zu wollen. Lagarde, wie auch andere Chefs der großen europäischen Notenbanken, wird an der diesjährigen Konferenz in Jackson Hole übrigens nicht teilnehmen, auch nicht virtuell.
Die US-Notenbank steht zudem wegen der kräftigen Erholung der US-Wirtschaft unter Handlungsdruck. Der Internationale Währungsfonds (IWF) erwartet für das laufende Jahr wegen der beispiellosen fiskalischen und geldpolitischen Unterstützung ein Wachstum von 7,0 Prozent. Im April war der IWF noch von einem US-Wirtschaftswachstum von 4,6 Prozent ausgegangen.
Ungeachtet der Zinswende in Europa steuert die US-Notenbank Fed unbeirrt einen lockeren geldpolitischen Kurs.
Die revidierte Prognose sei das schnellste Wachstumstempo in einer Generation, teilte der IWF in seiner jüngsten Bewertung der US-Wirtschaftspolitik Ende Juni fest. Gleichzeitig ist auch die von der Fed unter Beobachtung gestellte Arbeitslosenquote deutlich gefallen, auf zuletzt 5,4 Prozent, nachdem sie zu Beginn der Pandemie im April letzten Jahres noch auf 19 Prozent hochgeschnellt war. Allerdings liegt die Zahl der Beschäftigten immer noch um 5,7 Millionen Personen unter dem Niveau vor der Pandemie.
Experten verweisen auch auf einen Anstieg der Covid-19-Fälle, die auf die Delta-Variante zurückzuführen sind. Sie stellt ein Risiko für sowohl für das Wirtschaftswachstum als die Beschäftigung dar. Einige Marktbeobachter gehen deshalb davon aus, dass Notenbankchef Powell weiter auf Zeit spielen und auf eine dauerhaftere Erholung warten könnte.
Über dieses Thema berichtete B5 aktuell am 23. Juni 2021 um 06:15 Uhr.
Hintergrund
Hintergrund