Die „Gelbwesten“-Bewegung begann zunächst als Antwort auf eine von Präsident Emmanuel Macron geplante höhere Besteuerung von Benzin, vor allem Diesel, um die Energiewende zu finanzieren. © Julien Mattiale Pictorium, NNZ
Brüssel – Die ambitionierten Green-Deal-Pläne der EU treffen auf die Realität. Die Sorge vor Massenprotesten steigt.
Der Blick in eine schöne, grüne Zukunft wirkte noch vor wenigen Wochen einigermaßen ungetrübt, zumindest in jenem Kreis um Ursula von der Leyen im Berlaymont-Gebäude in Brüssel. Hier sitzt die EU-Kommission, hier wurde der Grüne Deal entworfen, der Europa bis 2050 klimaneutral machen soll.
Das Kernstück zur Umsetzung bildet das Gesetzespaket mit dem etwas sportlich anmutenden Titel "Fit for 55“. Als die EU-Kommission im Juli das Programm vorstellte, sprach der zuständige EU-Kommissionsvizepräsident Frans Timmermans von einem "herausragenden Moment für die EU“ und "einem starken Signal für die Welt“. Lob erntete die Behörde von Umweltschützern und Parlamentariern, insbesondere aus dem grünen Lager, auch wenn sie Lücken beklagten. Die Botschaft immerhin lautete: Europa als Vorreiter im Klimaschutz.
Trotzdem meldeten sich auch etliche Stimmen zu Wort, die vor zu großen Belastungen für Unternehmen und Beschäftigte sowie für Staatshaushalte und schlussendlich die Verbraucher warnten. Sogar innerhalb der Kommission gab es Ärger – um den Führungsstil Ursula von der Leyens sowie um das Vorhaben, auch Verbraucher deutlich mehr zu belasten. Ein Drittel der Kommissarinnen und Kommissare ließen ihre Kritik im offiziellen Sitzungsprotokoll festhalten, auch wenn sie dem Paket letztendlich zustimmten.
Wenige Wochen später scheinen die ehrgeizigen Pläne der Kommission endgültig auf die Realität zu treffen. Denn was heißt es ganz konkret, wenn die EU bis zum Jahr 2030 die CO2-Emissionen um mindestens 55 Prozent im Vergleich zum Jahr 1999 senken will? Am Dienstag debattierte das Parlament in Straßburg über "Fit for 55“, bevor Ursula von der Leyen an diesem Mittwoch in ihrer Rede zur Lage der Union weitere Details vorstellen wird – so jedenfalls die Hoffnung.
Seit Tagen melden sich die Mahner zu Wort, die Augenmaß fordern – und auf die bereits massiv angezogenen Energiekosten auf dem Kontinent verweisen. Nadia Calviño, Spaniens Finanzministerin und stellvertretende Premierministerin, sagte am Wochenende, sie habe im Kreis ihrer europäischen Kollegen darauf gedrängt, sicherzustellen, dass es sich beim "grünen Wandel“ auch um "einen sozial fairen Wandel“ handele. Sehr stark steigende CO2-Preise wie auch Gaspreise würden "Unruhe stiften in den Bevölkerungen“. Die Regierungen kämen unter Druck, die negativen Auswirkungen auf Haushaltseinkommen und auf die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen, insbesondere von kleinen und mittelgroßen, zu minimieren, sagte Calviño gegenüber Journalisten.
In der Staatengemeinschaft wächst die Sorge vor Massenprotesten nach dem Vorbild der "Gelbwesten“ in Frankreich. Die Bewegung begann zunächst als Antwort auf eine von Präsident Emmanuel Macron geplante höhere Besteuerung von Benzin, vor allem Diesel, um die Energiewende zu finanzieren. Was, wenn die Autofahrer in Deutschland, Griechenland oder Irland ebenfalls tiefer in die Tasche greifen müssen?
"Vergessen wir die Menschen bei der Transformation, laufen wir Gefahr, eine europäische ,Gelbwesten‘-Bewegung zu schaffen“, sagt der Europaabgeordnete Michael Bloss von den Grünen. "Deswegen sehen wir die Einführung eines europaweiten CO2-Preises auf Sprit und für Gebäude skeptisch, denn er führt zu einer sozialen Schieflage, wenn die Kosten nicht an die europäischen Bürgerinnen und Bürger zurückgegeben werden.“ Der jetzige Vorschlag, einen Sozialfond durch die Einnahmen zu finanzieren, sei "viel zu ungenau und lückenhaft“.
Die Kommission plant, mit einem 144 Milliarden Euro schweren Sozialfonds, der sich zum Teil aus den Einnahmen aus dem Emissionshandel speisen soll, soziale Härten abzufedern.Doch zahlreiche Politiker in Europas Hauptstädten fürchten, dass dies nicht reichen könnte. In Spanien etwa demonstrieren bereits immer mehr Menschen gegen die explodierenden Energiekosten. Auch in Ländern wie Portugal und Polen wächst der Unmut. Die EU könnte am Ende als alleiniger Sündenbock für die teuren Herbst- und Wintermonate dastehen.
Es ist nicht das beste Vorzeichen für die kommenden Wochen, in denen die Kommission das Gesetzespaket mit dem Europaparlament und dem Rat der Mitglieder verhandelt. Dass diese Gespräche ohne Streitereien und Änderungen an dem Programm ablaufen werden, davon geht kaum jemand aus. Ursula von der Leyen und ihre Kollegen haben einiges an Überzeugungsarbeit zu leisten.
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