Viele Firmen rufen die Mitarbeiter zurück ins Büro. Doch Ämter arbeiten oft nur eingeschränkt, Anträge bleiben liegen. Unternehmen werden nervös.
David Weiblein ist kaufmännischer Geschäftsführer des mittelständischen Energieversorgers BTB, der im Berliner Südosten ein 150 Kilometer langes Fernwärmeverbundnetz sowie mehrere Heizkraftwerke und Energiezentralen betreibt. Während eines Gesprächs auf dem Gelände des Heizkraftwerks Adlershof deutet er aus dem Fenster auf einen Rohbau. In den noch nackten Betonmauern sollen vier mit Erdgas betriebene Motoren installiert werden, die sowohl Strom als auch Wärme erzeugen. So geht moderne Energieerzeugung nach dem effizienten Prinzip der Kraft-Wärme-Kopplung.
Das Problem ist nur: „Die zuständigen Behörden kommen mit der Bearbeitung der zahlreichen Projekte der BTB oft nicht hinterher. Wir warten noch auf Genehmigungen von vielen Anträgen, die wir eingereicht haben“, berichtet Weiblein.
Man könne der Behörde und deren Mitarbeitern keinen Vorwurf machen. Vieles sei der Corona-Pandemie geschuldet. „Perspektivisch erhoffen wir uns aber, wie viele andere Unternehmen auch, eine schnellere Bearbeitung der Prozesse durch einen Digitalisierungsschub in der Berliner Verwaltung“, sagt der Manager.
Danach sieht es derzeit nicht aus. Während Berlins private wie kommunale Unternehmen, Vereine, Verbände, Stiftungen und auch öffentlich-rechtliche Organisationen längst begonnen haben, ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zurück in die Büros zu rufen – was man schon an den zunehmend vollen S- und U-Bahnzügen sieht – gehen viele Behörden weiter auf Nummer extra sicher.
„Mit dem Ende der Bundesnotbremse geht nicht automatisch eine Rückkehr zum Normalbetrieb einher“, erläutert Berlins Senatsverwaltung für Finanzen, der auch die Personalentwicklung für die 110.000 Mitarbeitenden des Landes obliegt. Es gelte weiterhin die Corona-Arbeitsschutzverordnung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Diese sollte mit dem 30. Juni 2021 auslaufen, wurde für die Dauer der „epidemischen Lage von nationaler Tragweite“, die der Bundestag festgestellt hat, verlängert – vorerst bis einschließlich 10. September.
Das bedeute: Arbeitgeber blieben verpflichtet, in ihren Betrieben mindestens zweimal pro Woche für alle in Präsenz Arbeitenden die Möglichkeit für Schnell- oder Selbsttests anzubieten. Betriebliche Hygienepläne seien wie bisher zu erstellen, umzusetzen sowie in geeigneter Weise zugänglich zu machen. Betriebsbedingte Kontakte und die gleichzeitige Nutzung von Räumen durch mehrere Personen müssten weiterhin auf das notwendige Minimum reduziert werden, wobei die Zehn-Quadratmeter-pro-Person-Regel entfällt, wie die Verwaltung sagt.
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Die Senatsfinanzverwaltung kommuniziert regelmäßig landesweit rechtliche Rahmenbedingungen zu Präsenz und Homeoffice und spricht Umsetzungsempfehlungen aus – auch für die Bezirksämter. „Wir haben kein Weisungsrecht oder ähnliches für die anderen Verwaltungen. Das wäre auch nicht sinnvoll: Jede Dienststelle weiß selbst am besten, was sich umsetzen lässt und welche Leistungen zwingend in Präsenz zu erbringen sind“, sagt Verwaltungssprecher Alexis Demos.
Als Beispiele führt er Polizei und Feuerwehr an, deren Leistungen am Ort erbracht werden müssten. Das dürfte jedem einleuchten. Dass auch Vorhaben und Projekte bei den Unternehmen anfangen zu „brennen“, sofern sie von Behörden nicht genehmigt werden, sieht man im Senat womöglich noch nicht.
In der Senatsverwaltung für Finanzen selbst sollen aktuell höchsten 50 Prozent der Mitarbeitenden ins Büro kommen, heißt es. Zu Hochzeiten der Coronakrise hätten zwischen 80 und 90 Prozent im Homeoffice gearbeitet. Bei den Finanzämtern lag der Anteil von Homeoffice bei etwa 60 Prozent. Für die Senatsverwaltung für Inneres und Sport meldet die stellvertretende Sprecherin Sylvia Schwab, dass aktuell sind rund 52 Prozent der Mitarbeitenden im Dienstgebäude anwesend seien, rund 48 Prozent würden also im Homeoffice arbeiten. „90 Prozent der Mitarbeitenden haben die technischen Voraussetzungen von zu Hause beziehungsweise von Unterwegs arbeiten zu können.“
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Homeoffice bedeutet, beteuern die Verwaltungen, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu Hause einen vollständigen Büroarbeitsplatz hätten. Mit Notebooks, Smartphones oder Tablets. Das Land Berlin fördere die Ausweitung der flexiblen Arbeitsformen ausdrücklich fördere – unabhängig von der Pandemie. Klar, das Land Berlin muss etwas bieten, es braucht jedes Jahr Tausende neue Mitarbeitende.
Die Beobachtung aus Unternehmen ist aber, dass das Land in Senatsverwaltungen und vor allem in Bezirken, wo es um einfache Genehmigungen und Bürgerdienstleistungen geht, weit weniger arbeitsfähig ist als in den Finanzämtern, wo das Land Steuern eintreibt.
„Verwaltungsleistungen aus den Bereichen Kfz-Zulassung, Verkehr und Bau gehören weiterhin zu den wichtigsten Anliegen der Berliner Unternehmen. Wenn es dort hakt, wirkt sich dies häufig branchenübergreifend negativ aus“, sagt Jörg Nolte, Geschäftsführer Wirtschaft und Politik bei der Industrie- und Handelskammer (IHK). „Daher ist es umso bedauerlicher, dass Unternehmen gerade in diesen Servicesegmenten ein zu geringes behördliches Leistungsniveau erfahren.“
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Zwar habe sich die Situation in den Zulassungsstellen, unter anderem aufgrund der konstruktiven Maßnahmenabstimmung zwischen dem Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten (LABO) und IHK nach den teilweise katastrophalen Zuständen im vergangenen Jahr zunächst stabilisiert. An anderer Stelle, zum Beispiel bei der Genehmigung von Straßenbaustellen oder im Wohnungsbau, beobachtet die Kammer hingegen weiterhin „erhebliche Schwächen“ beim Bearbeitungstempo und der behördlichen Abstimmung. „Hinzu kommt, dass Breitbandausbau und Mobilitätswende viele zusätzliche Antragsverfahren erforderlich machen. Auch das Termindesaster in den Bürgerämtern zeigt, dass die strukturellen Probleme tief sitzen.“
Die Mittelstands- und Wirtschaftsunion Berlin (MIT) fordert den Senat nun auf, sämtliche Mitarbeiter der öffentlichen Verwaltung sofort in die Dienststellen zurückzuholen um die Arbeit dort aufzunehmen. Zudem müsse der aufgebaute Antragsstau bei allen Verwaltungsvorgängen durch erweiterte Öffnungs- und Sprechzeiten ausgeweitet werden.
„Es ist absolut nicht nachvollziehbar, dass die Verwaltung teilweise nach wie vor nur telefonische Sprechzeiten, gerade in Genehmigungsbehörden, anbietet, während auf der einen Seite viele Arbeitnehmer in wirtschaftlich schwierigen Zeiten nur in Kurzarbeit arbeiten konnten und in Branchen, wie beispielsweise dem Einzelhandel und der Gastronomie, jetzt so viel wie möglich am Kunden gearbeitet wird, um sich wirtschaftlich überhaupt über Wasser halten zu können“, sagt der MIT-Landesvorsitzende und CDU-Abgeordnete Christian Gräff.
„Ich erwarte, dass der Senat umgehend alle Beschäftigten des Landes Berlin in der jetzigen Situation zurück an die Arbeitsplätze holt“. Dies trage auch zur Sicherung der Arbeitsplätze bei den Unternehmen und damit auch der Steuerkraft der Stadt bei.
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Der Logistikkonzern Zeitfracht hatte sich im Dezember darüber beklagt, dass es in Berlin zehn Monate dauert, um 30 Lkw zuzulassen. Die Trucks fahren jetzt. Vorstand Wolfram Simon-Schröter sagt heute: „Die Mitarbeiter der Berliner Behörden sollten mit gutem Beispiel vorangehen, sich impfen lassen und wieder an ihre Arbeitsplätze zurückkehren, um dann zügig die in der Coronazeit liegengebliebenen Anträge und Unterlagen abzuarbeiten.“
Dann sollte die Berliner Verwaltung zügig digitalisiert werden. „Es kann nicht sein, dass die Hauptstadt der viertgrößten Industrienation der Welt das Digitalisierungsniveau eines armen Entwicklungslandes hat. Es muss – um mit dem ehemaligen Bundespräsidenten Herzog zu sprechen – ein Ruck durch die Verwaltung gehen“, sagt der Zeitfracht-Vorstand.

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