Stand: 17.09.2021 15:49 Uhr
Wenn in Russland ein neues Parlament gewählt wird, schauen auch die Börsen und die Wirtschaft ganz genau hin. Die Lage im Riesenreich ist widersprüchlich: Während die Börse Rekorde hinlegt, haben es viele Unternehmen nicht leicht.
Der Moderator begrüßt sein Publikum mit positiven Nachrichten: „Guten Tag! Wir schauen uns den heimischen Aktienmarkt an, der heute deutlich zulegt. Die Moskauer Börse legt vier Prozent zu und markiert damit einen neuen Rekord.“ Es vergeht in den russischen Wirtschaftsnachrichten derzeit kein Tag, an dem die Aktienkurse kein Thema sind. Der Leitindex RTS seit Jahresbeginn um mehr als 25 Prozent gestiegen – stärker als der DAX in Frankfurt.
Manche Aktien stiegen besonders stark, sagt Investmentbanker Evgenij Kogan von der Börsenfirma Moskowskie Partneri, „Moskau Partner“: „Wir sehen, dass verschiedene Kurse russischer Firmen abgehoben haben. Zum Beispiel Gazprom.“ Der Grund sei klar, so Kogan: „Sie profitieren von den gestiegenen Gaspreisen.“
Nawalnys Unterstützer werfen den US-Unternehmen „politische Zensur“ vor.
Rekordkurse an der Moskauer Börse einerseits – andererseits sind Ökonomen angesichts der wirtschaftlichen Lage im Land gar nicht begeistert. Das Wachstum des Schwellenlandes lahme schon seit Jahren, sagt Russland-Expertin Daria Orlova von der Deka-Bank. Korruption, Staatswirtschaft und politische Scharmützel bremsten die russischen Unternehmer: „Die geringe Planbarkeit führt eben dazu, dass die Unternehmen zögern, große Investitionen zu tätigen“, erklärt Orlova. „Teilweise dauern die Genehmigungsverfahren Ewigkeiten und müssen durch schwierige Prozesse laufen.“
Das ist noch vorsichtig formuliert, denn der Druck und die Eingriffe des Staates hat zugenommen. In Supermärkten gibt man bei manchen Lebensmitteln Preisgrenzen vor. Wechselstuben dürfen den Rubelkurs nicht mehr öffentlich aushängen. Korruption grassiert. Und private Unternehmer sind mit Kontrollen konfrontiert: Lebensmittelkontrollen, Arbeitskontrollen, Sicherheitskontrollen.
Die Kontrollen hätten ihre eigenen „Gesetze“, erläutert Russland-Experte Alexander Libman von der Freien Universität Berlin. „Falls eine Kontrollbehörde in das Unternehmen kommt und nichts findet, werden die Mitarbeiter dieser Kontrollbehörde am Ende weniger Boni bekommen. Und russische Beamte bekommen über 70 Prozent ihres Gehalts als Boni, die von ihrer Leistung abhängig sind.“
Drei Tage lang können Russlands Bürger ihre Stimme für ein neues Parlament abgeben – auch online.
An großes Wachstum ist unter diesen Bedingungen nicht zu denken. Auch nicht nach den Wahlen zur Staatsduma, aus denen aller Voraussicht nach wieder die Kremlpartei „Geeintes Russland“ als Siegerin hervorgehen wird und nach denen sich die Beziehungen zum Westen kaum bessern dürften.
Abgesehen davon, dass nahezu alle Beobachter einen Machtwechsel für so gut wie ausgeschlossen halten: Die große Frage ist, ob sich mit der Opposition an Russlands Spitze etwas ändern würde; ob sie die bürokratischen Fesseln zerschlagen könnte. Daran haben auch die Experten ihre Zweifel.