Geld spielt keine Rolle mehr?
(Foto: imago/RelaXimages)
Jede Partei warnt, dass die anderen Parteien den Wirtschaftsstandort Deutschland bedrohen würden. Aus Sicht des Finanzmarktes zeigt sich ein anderes Bild: Es ist egal, wer die nächsten vier Jahre regiert. Narrenfreiheit ist garantiert.
"Die vielen kleinen und mittleren Unternehmen, die in ganz speziellen Bereichen Weltmarktführer sind. Ich finde, das wird heutzutage viel zu wenig wertgeschätzt und noch weniger politisch unterstützt." – klingt wie Friedrich Merz zur deutschen Wirtschaft, stammt aber von der Linken Sahra Wagenknecht (FAZ- Interview vom 6. September). Auf der anderen Seite bewertet die WDR-Redaktion von "Quarks" das Parteiprogramm der FDP als das beste aus Sicht des Klimaschutzes. Was die Redaktion dann zwar als unglaubwürdig mit der Hand korrigierte, aber Wahlprogramm ist Wahlprogramm.
Dr. Andreas Beck
Viele Wähler haben den Eindruck: Noch nie war es so gleichgültig, wen man wählt und wer nachher mit wem koaliert. CDU/CSU, FDP, SPD, Linke, Grüne – alle potenziellen Regierungsparteien werden Klima und Bienen retten, alle wollen mehr Europa und alle schaffen das, ohne die deutsche Wirtschaft und die Wähler zu stark zu belasten. Es wird um Kleinigkeiten gestritten, wie "Kohleausstieg ein Jahr früher oder später?" – als ob das irgendeinen Einfluss auf das Weltklima hätte, oder um eine Vermögenssteuer für Superreiche – also ob deren international steueroptimiertes Vermögen überhaupt greifbar wären.
Aus Sicht der Finanzmärkte kann man diesen Eindruck bestätigen. Noch nie war es so gleichgültig, wer die Wahl gewinnt. Das ist erstmal überraschend, da die Pläne der Parteien heute mehr denn je auf der Aufnahme neuer Schulden basieren. In der Vor-Merkel-Zeit hieß es noch, wir müssten den Gürtel enger schnallen. Den Bürgern wurde von der Regierung Schröder/Fischer zugetraut, zwei und zwei zusammenzuzählen und so akzeptierten die Deutschen eine schmerzhafte Rentenreform, Hartz IV und andere Sparmaßnahmen. Es galt, Deutschland für den demografischen Wandel fit zu machen, der ab 2025 mit zunehmender Dynamik den Staatshaushalt belasten wird.
Heute kann man sich daran kaum noch erinnern. Geld spielt keine Rolle mehr. Obwohl die geburtenstarken Jahrgänge noch im Berufsleben stehen, sind Staatsverschuldung und Sozialausgaben deutlich gewachsen. Rücksichtslos sind dabei vor allem die umfangreichen finanziellen Wohltaten für die alternden geburtenstarken Jahrgänge, die der Staat gesetzlich in den letzten Jahren verabschiedet hat. Prototypisch für dieses neue Denken ist der EU-Wiederaufbaufonds. Erstmals nimmt die EU als Organ dafür direkt 750 Milliarden Euro neuer Schulden auf. Ausgegeben wird das Geld in den nächsten zwei Jahren, die Rückzahlung dieser Schulden ist jedoch erst ab 2028 geplant, also genau dann, wenn in Deutschland und anderen Ländern die Kosten des demografischen Wandels zuschlagen.
Möglich macht dies die EZB. Irgendjemand muss die ganzen neuen Schulden in Form von Staatsanleihen schließlich kaufen. Insofern ist der Finanzmarkt als Regulativ ausgeschaltet. Der Ausgang der Wahl spielt für die Finanzmärkte daher dieses Mal keine große Rolle.
Ob in den letzten Jahren die CDU/CSU mit der FDP oder mit der SPD die Regierung bildeten, der Zug fuhr stets in die gleiche Richtung. Nachdem Linke und Grüne daran nur kritisiert hatten, dass der Zug noch schneller fahren sollte, ist klar, wohin die Reise die nächsten vier Jahre geht. Leider wird das funktionieren. Die harte demografisch bedingte Landung wird erst die übernächste Regierung zu spüren bekommen, die jetzt zu wählende Regierung wird hingegen vier Jahre Narrenfreiheit haben. Die finanziellen Rahmenbedingungen dafür sind durch EU und EZB schon geschaffen.
Dr. Andreas Beck bewertet als unabhängiger Finanzmathematiker die Qualität von Vermögensverwaltungen. Unter anderem testet er zusammen mit n-tv seit über zehn Jahren die Portfolios der führenden Privatbanken in Deutschland. Sein neuestes Buch "Erfolgreich wissenschaftlich investieren" kann auf www.globalportfolio-one.de kostenlos heruntergeladen werden.
Quelle: ntv.de

source