Große Teile der Beschäftigten, die seit Beginn der Corona-Krise besonders belastet sind, zeigen sich zunehmend unzufrieden mit ihrem Lohn. Das machte Frank Werneke, Chef der Gewerkschaft Verdi, bei einem Treffen mit Journalisten deutlich.
Vor allem die Unikliniken seien Zentrum der Pandemiebekämpfung – und des Unmuts der Beschäftigten. „Da dampft und brodelt es“, so Werneke. Er will das ändern, und zwar noch in diesem Jahr.
Dieses Vorhaben will er einbringen in eine der wichtigsten Tarifrunden des Jahres, die nun startet: die im öffentlichen Dienst der Länder. Insgesamt geht es um mehr Geld für 3,5 Millionen Menschen – nämlich rund 1,1 Millionen Tarifbeschäftigte, 1,4 Millionen Beamte und eine Million Versorgungsempfänger.
Die Arbeitnehmervertreter fordern unter anderem fünf Prozent mehr Lohn bei einer Laufzeit von zwölf Monaten für Lehrer, Erzieher, Pflegepersonal, Verwaltungsangestellte und andere Berufsgruppen. Für einige soll die Erhöhung aber deutlich überproportional sein – und teils knapp 13 Prozent betragen, wie Verdi nun erläuterte.
Grund dafür ist der sogenannte Mindestbetrag, den die Gewerkschaft fordert. Vorgesehen ist, dass die Lohnerhöhung mindestens 150 Euro pro Monat betragen soll. Das heißt, dass untere Lohngruppen mehr als die allgemein geforderten fünf Prozent bekommen sollen.
In der Entgeltgruppe 3 etwa entsprechen die geforderten 150 Euro einem Plus von 5,16 bis 6,25 Prozent. Profitieren würden davon zum Beispiel Schleusen-Beschäftigte im Wasserbau oder Theatermitarbeiter im Bereich Beleuchtung, Technik und Ton.
Noch stärker soll der prozentuale Anstieg für Beschäftigte im Gesundheitswesen sein – also die von Werneke besonders hervorgehobenen Mitarbeiter der Unikliniken. Für sie soll die Erhöhung nach dem Willen der Gewerkschaft bei mindestens 300 Euro liegen. In der Entgeltgruppe K5 würde das die Tabellenentgelte je nach Erfahrungsstufe um 9,9 bis 12,8 Prozent steigern. Betroffen davon wären etwa Pflegehelfer. Für Operationstechnische Assistenten etwa geht es um ein Plus von bis zu 10,28 Prozent.
Die Forderung nach einem allgemeinen Mindestbetrag begründet Verdi unter anderem mit der erhöhten Inflationsrate. Selbst wenn es sich nur um eine vorübergehende stärkere Preissteigerung handeln sollte, sei die vor allem für „Lohnabhängige mit geringeren Einkommen“ belastend.
Der Mindestbetrag als soziale Komponente solle das kompensieren. Im Gesundheitswesen gehe es aber um mehr als Inflationsausgleich. Verdi erwartet deshalb auch, dass die Arbeitgeber sich auf einen Extra-Verhandlungstisch für diese Beschäftigten einlassen.
Dass die Gewerkschaft sich so stark um den Gesundheitssektor bemüht, sei durchaus verständlich, meint Hagen Lesch. Er leitet das Kompetenzfeld Tarifpolitik am arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft (IW).
In der Pflege werde seit Jahren darum gerungen, die Berufe attraktiver zu machen. Auch das Argument, dass die anziehende Inflation einkommensschwächere Gruppen besonders stark treffe, sei nachvollziehbar.
Die Nutzung von Mindestbeträgen findet er dennoch problematisch: „Wenn die unteren Löhne überproportional steigen, bleibt weniger Geld übrig, um qualifiziertes Personal anzulocken.“ Das sei allerdings dringend nötig, denn eins der Hauptprobleme des öffentlichen Diensts sei der Fachkräftemangel.
Der öffentliche Dienst konkurriert schließlich mit der Privatwirtschaft, wo die Möglichkeit bestehe, Fachpersonal notfalls auch durch eine übertarifliche Bezahlung anzulocken. Aus Arbeitgebersicht sei es deshalb schwierig, sich auf einen Mindestbetrag einzulassen. „Es wäre besser, die Löhne einzelner Gruppen gezielt zu erhöhen“, sagt Lesch.
Zum ersten Mal verhandelt wird am 8. Oktober. Eine schnelle Einigung dürfte es nicht geben, denn die Fronten sind verhärtet. Die Arbeitgeber verweisen auf die hohe Belastung der Länder-Haushalte im Zuge der Pandemie. Die Gewerkschaftsforderungen würden ihren Schätzungen zufolge zu rund 7,5 Milliarden Euro Mehrausgaben führen.
Zudem droht der Streit über eine komplizierte Strukturreform unter dem Stichwort „Arbeitsvorgang“ zu eskalieren. Die Tarifgemeinschaft deutscher Länder (TdL) will, dass Beschäftigte, die anspruchsvollere Arbeiten machen, mehr verdienen als andere. Dafür wollen sie Tätigkeiten in verschiedene Einheiten zerlegen.
Je nachdem, wie viele dieser Einheiten als anspruchsvoll eingestuft werden, sollen die Beschäftigten dann mehr oder weniger Geld erhalten. Die Gewerkschaften laufen Sturm gegen die Pläne der Arbeitgeber, da sie fürchten, dass viele Beschäftigte dadurch schlechtergestellt würden. Das Bundesarbeitsgericht hatte ihnen zuletzt recht gegeben, die TdL wiederum hat das Verfassungsgericht angerufen. Eine Entscheidung steht aus.
Tarifexperte Lesch mahnt in jedem Fall an, eine ehrliche Debatte zu führen. „Es ist derzeit noch unklar, wie der gesamte Finanzierungsbedarf im öffentlichen Dienst gestemmt werden soll.“ Es gehe nicht nur um höhere Löhne, sondern auch um die dringend notwendige Digitalisierung der Verwaltung und Schulen.
Bei der Finanzierung gebe es nur zwei Möglichkeiten, sagt Lesch – und eine werde in jedem Fall kommen: „Nach der Bundestagswahl wird die Entscheidung fallen: entweder mehr Schulden oder höhere Steuern.“
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