Hafen von Belfast: Er ist nun ein Eingangstor zur EU, das von Beamten eines Nicht-EU-Staates überwacht wird. Eine waghalsige Konstruktion.
Der britische Premier will die Zollregeln für Nordirland nicht wie vereinbart umsetzen. Damit gefährdet er die Integrität des Binnenmarktes und den Schutz der Verbraucher, auch in Deutschland.
Kommentar von .css-viqvuv{border-bottom:1px solid #29293a;-webkit-text-decoration:none;text-decoration:none;-webkit-transition:border-bottom 150ms ease-in-out;transition:border-bottom 150ms ease-in-out;}.css-viqvuv:hover{border-bottom-color:transparent;}Björn Finke
Die Erleichterung war groß im Dezember, doch nun ist sie Ernüchterung und Sorge gewichen. Kurz vor Jahresende einigten sich die EU und Großbritannien auf einen Handelsvertrag und verhinderten so die Einführung von Zöllen. Zugleich verständigten sich London und Brüssel auf besondere Regeln für Nordirland. Aber jetzt, gut acht Monate später, zeigt sich, dass dieses sogenannte Nordirland-Protokoll nicht funktioniert. Schlimmer noch: Die Briten wollen die Vorgaben gar nicht richtig umsetzen und lieber neu verhandeln. Das stürzt die EU in ein ganz übles Dilemma.
Das Protokoll soll verhindern, dass zwischen der Republik Irland und dem britischen Nordirland Zöllner Lastwagen kontrollieren müssen. Schließlich könnte es den Friedensprozess in Nordirland belasten, wenn die Grenze wieder sichtbar wird. Daher schreibt das Protokoll vor, dass sich die einstige Unruheprovinz trotz Brexit weiter an EU-Produktregeln und Zollvorschriften hält. Logische Folge ist allerdings, dass Warenlieferungen von England, Wales oder Schottland nach Nordirland kontrolliert werden müssen. Denn haben Lastwagen erst einmal die nordirischen Häfen verlassen, können sie ohne weitere Kontrollen in den Süden der Insel fahren, also in die EU – und von da per Fähre in die anderen Mitgliedstaaten.
Brüssel hat hier ein sehr großes Zugeständnis gemacht und den Briten einen enormen Vertrauensvorschuss gewährt. Der gemeinsame Binnenmarkt ist immerhin das Herzstück der Europäischen Union. Waren können ohne bürokratische Hürden von einem EU-Land ins andere verkauft werden, und Verbraucher können unbesorgt bei Produkten aus dem EU-Ausland zugreifen – die Sicherheitsstandards sind die gleichen. Die Lockerheit im Innern erzwingt aber Härte nach außen: An Häfen, Flughäfen und Land-Außengrenzen müssen Beamte verhindern, dass gefährliche Waren in den Binnenmarkt gelangen, denn was einmal drin ist, kann kaum mehr gestoppt werden.
Diese wichtige Aufgabe übernehmen jetzt auch britische Beamte an nordirischen Häfen. Brüssel hat die Integrität des Binnenmarktes also teilweise einem Nicht-EU-Staat anvertraut; Boris Johnson ist mit zuständig dafür, dass im Supermarkt in Rostock oder Rom kein falsch deklariertes, minderwertiges Importfleisch in der Kühltheke landet. Klingt waghalsig, aber die EU hat sich darauf dem Frieden in Nordirland zuliebe eingelassen. Allerdings will Premier Johnson das Protokoll nun doch nicht wie vereinbart umsetzen. Ihn stören die Kontrollen und Bürokratie bei Lieferungen aus dem Rest des Königreichs nach Nordirland. Denn dummerweise versprach er den Wählern, dass es solche Kontrollen nicht geben wird.
Dieser empörende Vertragsbruch stellt bisher noch kein großes Risiko für den Binnenmarkt dar. Im Vereinigten Königreich gelten weiter die gleichen hohen Produktstandards wie in der EU. Daher sollte es kein Problem sein, wenn Lebensmittel aus England ohne vernünftige Kontrollen nach Nordirland und von da in die EU gelangen. Allerdings will Johnson ja künftig von EU-Regeln abweichen: Das ist der Wesenszweck des Brexit. Zudem sind Kriminelle immer auf der Suche nach schwach gesicherten Eingangstoren zum EU-Binnenmarkt – und werden vielleicht bald Lieferungen bevorzugt über Nordirlands Häfen laufen lassen.
Die EU kann dagegen zunächst wenig unternehmen. Laster ersatzweise an den Fähren zwischen der Republik Irland und Frankreich zu kontrollieren, würde Irland zum Binnenmarktmitglied zweiter Klasse degradieren – das ist keine Option. Am besten wäre es natürlich, die Briten doch noch zur Einhaltung internationaler Verträge zu bewegen: mit Sanktionen. Tatsächlich hat die EU-Kommission bereits Verfahren angestoßen, aber es kann dauern, bis diese schließlich in Strafzöllen münden. Zudem besteht die Gefahr, dass Johnson solche Sanktionen an sich abperlen lässt. Ihm scheint der Applaus des Brexit-Lagers stets wichtiger zu sein als das Wohlergehen der Wirtschaft.
Gibt es keine andere Lösung, muss die EU am Ende doch Kontrollposten für Laster zwischen Nordirland und der Republik errichten. Es wäre das Eingeständnis eines Scheiterns, es könnte zu neuem Terror in Nordirland führen, es wäre schrecklich. Trotzdem könnte es der einzige Weg sein, den Binnenmarkt und seine 450 Millionen Verbraucher zu schützen.
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