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von MDR Umschau
Stand: 14. September 2021, 05:00 Uhr
Deutschland überaltert. Besonders in Mitteldeutschland fehlen in Zukunft Fachkräfte. Der Arbeitsmarkt braucht mehr Zuwanderer. In den mitteldeutschen Ländern wäre der Bedarf an ausländischen Arbeitskräften besonders groß. Ist so viel Zuwanderung umsetzbar? Wir haben mit Wido Geis-Thöne, Experte für demografische Entwicklungen und Zuwanderungsfragen am Institut der deutschen Wirtschaft in Köln, gesprochen.
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Ohne Zuwanderung kann der zukünftige Fachkräftebedarf auf dem deutschen Arbeitsmarkt nicht gedeckt werden. 400.000 Zuwanderer, so hat es Arbeitsagentur-Chef Detlef Scheele festgestellt, braucht Deutschland jährlich. So könnte ein Kollaps von Arbeitsmarkt und Sozialsystemen infolge des demografischen Wandels abgewendet werden.
Die mitteldeutschen Länder haben besonders mit der Überalterung zu kämpfen. Der Anteil derjenigen Personen im erwerbsfähigen Alter, die 55 Jahre oder älter sind, ist in den letzten Jahren immer mehr gestiegen. Laut dem IW Köln lag er im Dezember 2020 in Sachsen bei rund 25 Prozent, in Sachsen-Anhalt und Thüringen bei rund 28 Prozent. Das ist mehr als etwa in Baden-Württemberg, Bayern und Hessen. Dort waren es jeweils Anteile von rund 23 Prozent.
Der Osten sieht alt aus. So könnte man die aktuellsten Zahlen des Statistischen Bundesamts zusammenfassen. Denn: Der Anteil der alten Menschen ist in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen besonders groß.
In Mitteldeutschland werden dem IW Köln zufolge in den nächsten Jahren rund 1,3 Millionen Menschen altersbedingt aus dem Erwerbsleben ausscheiden. Hätten die drei Länder beispielsweise die demografische Struktur von Baden-Württemberg, wären es insgesamt circa 200.000 Personen weniger. Verglichen mit anderen Bundesländern scheidet ein größerer Anteil der Bevölkerung aus dem Erwerbsleben aus. Entsprechend müsste auch ein größerer Anteil an ausländischen Fachkräften zuwandern, um die Wirtschaftskraft stabil zu halten.
Warum diese Rechnung so nicht aufgehen kann, weiß Wido Geis-Thöne. Er ist Experte für demografische Entwicklungen und Zuwanderungsfragen am Institut der deutschen Wirtschaft in Köln und hat mit uns über die Zuwanderung von Arbeitskräften gesprochen.
Herr Geis-Thöne, nun ist das Demografie-Problem in den einzelnen Bundesländern unterschiedlich stark ausgeprägt. Schaut man auf die Zahlen für die mitteldeutschen Länder, müssten hierher in den nächsten Jahren im Verhältnis zur Bevölkerungsgröße viel mehr Fachkräfte aus dem Ausland kommen.
Wido Geis-Thöne: Diese Sichtweise ist zu einfach. In Regionen, die besonders vom demografischen Wandel betroffenen sind, hat in der Regel auch eine starke Abwanderung in andere Teile des Landes stattgefunden. Es wäre eine etwas seltsame Vorstellung, die zuwandernden Fachkräfte dort ansiedeln zu wollen, wo die Einheimischen weggehen.  
Vielmehr ist hier eine Regionalpolitik notwendig, die Zuwanderung als Option sieht, aber vor allem die Attraktivität der Region insgesamt für die Fachkräfte steigert. Ziel muss es sein, die ansässigen Fachkräfte zum Bleiben und abgewanderte Einheimische zur Rückkehr zu bewegen.

Könnten nicht die zahlreichen Geflüchteten eine wichtige Rolle spielen, wenn es darum geht, den Arbeitsmarkt für Fachkräfte in den sogenannten demografieschwachen Regionen stabil zu halten?
Wido Geis-Thöne: Auch die Idee, Geflüchtete dort anzusiedeln, wo die demografischen Probleme am größten sind, geht nicht auf. Man kann da nicht technokratisch vorgehen. Es war in der Vergangenheit immer so, dass Geflüchtete, wenn sie konnten, dorthin wanderten, wo Leute aus ihren Herkunftsländern und -regionen leben. Das heißt konkret: eher nach Westdeutschland und eher in die Stadt. Auf dem Land ist es für diese Menschen sehr schwierig, Netzwerke aufzubauen. Zudem verfügen viele der Geflüchteten nur über ein geringes Qualifikationsniveau, sodass für sie nur einfache Jobs als An- und Ungelernte infrage kommen. Damit sind ihre Karriere- und Einkommensperspektiven eher unsicher. Das gilt aber nicht für alle. So sind etwa 2015 und 2016 viele Ärzte aus Syrien nach Deutschland gekommen. Iranische Asylsuchende bringen seit Jahren ein vergleichsweise hohes Qualifikationsniveau mit. Ähnlich ist es bei den aus Afghanistan Flüchtenden. Besonders für liberaldenkende Bildungsbürger ist das Taliban-Regime eine Bedrohung. Dennoch dürften die Geflüchteten insgesamt zukünftig nur einen sehr beschränkten Beitrag zur hiesigen Fachkräftesicherung leisten.
Nachrichten
Die Asyl- und Migrationspolitik der GroKo: das Ziel, die Zahl der Flüchtlinge gering zu halten – Stichwort: Obergrenze – wurde eingehalten; aber was wurde im in puncto Fachkräftemangel oder EU-Asylpolitik erreicht?
Vielleicht bringen Geflüchtete nicht die gewünschte Qualifikation mit, aber es bestünde die Möglichkeit, diese Menschen in Deutschland als Fachkräfte auszubilden. Dafür gibt es ja auch spezielle Programme und Maßnahmen.
Wido Geis-Thöne: Tatsächlich haben hier verschiedene Akteure viel geschafft und eine positive Entwicklung angeschoben. Adressaten sind vorwiegend 18- bis 25-Jährige mit niedrigem Qualifikationsniveau, die eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen haben. Diese Personen haben großenteils bereits eine Schule oder einen Integrationskurs besucht. Sie kommen in Programme mit Vorbereitungskursen und Praktika in Betrieben, dann idealerweise in eine Ausbildung. Allerdings lassen sich so bei weitem nicht aus allen jungen Geflüchteten Fachkräfte machen. Ein großes Problem ist, dass manche maximal eine Grundschule besucht haben. Die Lücken in der Bildung sind zu groß, um sie in einem vernünftigen Zeitraum zu schließen. Zudem mangelt es einem Teil an Motivation. Oft ist der Grund, dass sie möglichst schnell ein höheres Einkommen erzielen wollen, um Familienmitglieder in den Herkunftsländern finanziell zu unterstützen. Die betriebliche Ausbildung inklusive der Vorbereitung dauert da zu lang. Auch hat eine betriebliche Ausbildung im Verständnis der Geflüchteten häufig nur einen vergleichsweise niedrigen Stellenwert. Wie viele tatsächlich einen beruflichen Bildungsabschluss erreichen, wird man erst in den nächsten Jahren sehen. Auch viele der jüngeren Geflüchteten könnten langfristig niedrigqualifiziert bleiben und am deutschen Arbeitsmarkt nur im Helfersegment arbeiten können. Deshalb braucht Deutschland in diesem Bereich auf absehbare Zeit auch keine Erwerbszuwanderung.
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Eine andere Möglichkeit ist es, ausländische Jugendliche direkt für die Ausbildung nach Mitteldeutschland zu holen. Man denke zum Beispiel an Spanien, das eine hohe Jugendarbeitslosenquote verzeichnet.
Wido Geis-Thöne: In den 2010er-Jahren gab es das Job-of-my-Life-Programm, um junge Menschen aus den anderen EU-Ländern für eine Ausbildung in Deutschland zu gewinnen. In diesem Rahmen kamen vorwiegend Spanier ins Land. Allerdings war das deutsche Ausbildungssystem überhaupt nicht auf diese Zuwanderer vorbereitet. Bei der Ausbildung selbst und bei der Unterbringung und Integration in die Gesellschaft gab es große Schwierigkeiten.  Die meisten Teilnehmer brachen vorzeitig ab. Seitdem hat sich wenig getan. Man muss konstatieren: Deutschland steht bei der Zuwanderung zur beruflichen Ausbildung derzeit noch fast am Nullpunkt.
Wo liegen denn die Hürden genau?
Wido Geis-Thöne: Ein größeres Hemmnis ist der rechtliche Rahmen für den Zugang junger Menschen aus Drittstaaten. Anders als im Fall der fertig ausgebildeten Fachkräfte hat auch das neue Fachkräfteeinwanderungsgesetz daran nichts Wesentliches geändert. Dabei ist insbesondere die Ausbildung junger Menschen aus demografiestarken Drittstaaten wie etwa Indien eine Chance. International ist die Zahl an bereits gut ausgebildeten, wanderungsbereiten Fachkräften nämlich sehr beschränkt und es herrscht ein globaler Wettbewerb um diese Leute.
Die großen Unternehmen könnten als Ausbilder eine Vorreiterrolle spielen. Ein Elektriker oder Sanitärinstallateur, der einen Lehrling und Nachfolger sucht, kann nur schwer auf die spezifischen Bedürfnisse Auszubildender aus dem Ausland eingehen. Die gezielte Werbung im Ausland für Regionen mit kleinen Betrieben und großen demografischen Problemen ist für die Fachkräftesicherung aktuell auch nicht wirklich erfolgversprechend. Damit die Ausbildung in der Breite gelingen kann, ist ein Unterstützungssystem unabdingbar. Das kann aber nur in kleinen Schritten entwickelt werden. Aus den Erfahrungen mit den Geflüchteten kann man hier nur eingeschränkt lernen. Es macht einen großen Unterschied, ob Personen, die bereits im Land leben oder die, die direkt aus dem Ausland kommen, in die Ausbildung integriert werden sollen. Sollte das Thema auf der politischen Agenda weit vorn stehen, könnten wir dafür bis zum Jahr 2030 ein System in der Fläche haben. Bis dahin wird es nicht zuletzt aufgrund der ungünstigen demografischen Entwicklungen in den anderen EU-Ländern sehr schwer, jedes Jahr 400.000 ausländische Fachkräfte zu gewinnen.
Die EU versucht mit ihrer "blauen Karte" in Anlehnung an die "Green Card" der USA seit über einem Jahrzehnt, hochqualifizierte Fachkräfte anzulocken. Nun sollen die Regelungen für die Arbeitskräfte vereinfacht werden.
Wie viel Zeit bleibt noch, um erfolgreich gegenzusteuern?
Wido Geis-Thöne: Deutschland muss sehr schnell handeln. In den nächsten Jahren werden die besonders geburtenstarken Babyboomer-Jahrgänge zunehmend aus dem Erwerbsleben ausscheiden. Das hinterlässt Lücken am Arbeitsmarkt, die einheimische Arbeitskräfte nicht schließen. Das wird ganz anders als im letzten Jahrzehnt. Schon da ist es zu größeren Fachkräfteengpässen gekommen, die Erwerbsbevölkerung an sich hatte aber noch zugenommen. Im Osten haben wir trotz der gleichmäßigeren demografischen Entwicklung in der Nachkriegszeit voraussichtlich eine besonders dramatische Lage. Hier werden wegen des Geburtenknicks nach der Wende nur sehr wenige junge Menschen in den Arbeitsmarkt nachrücken. 
Was passiert, wenn nicht genügend Fachkräfte nach Deutschland oder eben Mitteldeutschland zuwandern?
Wido Geis-Thöne: Ohne ausländische Fachkräfte oder einen starken Technisierungsschub in den nächsten Jahren wird die Wirtschaft schrumpfen. Ein Problem ist, wenn Menschen dann der Zugang zu wichtigen Dienstleistungen fehlt, etwa wenn eine Region keine Elektrikerbetriebe mehr hat. Diese Gefahr droht vor allem in den ländlicheren Gebieten, wo Leute schon in der Vergangenheit abgewandert sind. Hier muss die Regionalpolitik ganzheitlich denken. Neben dem Versuch, die Bevölkerungsentwicklung zu stärken, muss man eine gezielte Schrumpfungsstrategie entwickeln. Ziel ist, die bestmögliche Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen. In den größeren Städten wie Leipzig, Dresden oder Jena ist das kein Thema.
Für die Einwohner hier ist wichtig, dass Deutschland insgesamt mehr Fachkräfte aus dem Ausland gewinnt. Sonst drohen deutliche Einschränkungen bei öffentlichen Leistungen. Mit mehr Älteren und weniger Erwerbstätigen lassen sich bei gleichem Beitragsniveau die bisherigen Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung nicht finanzieren. Anpassungen beim Renteneintrittsalter und eine Aktivierung bisher nicht erwerbstätiger Einheimischer können zwar einen Beitrag leisten. Das wird aber nicht ausreichen, um die demografischen Herausforderungen zu lösen. Auch die Betreuungsinfrastruktur muss besser werden: Allen Müttern muss es möglich sein, bereits früh wieder mit großem Stundenumfang in den Arbeitsmarkt zurückzukehren.  
Quelle: MDR Umschau
Sachsen-Anhalts Bevölkerung soll bis 2035 um rund 13 Prozent zurückgehen – ein Verlust von rund 300.000 Einwohnerinnen und Einwohnern. Halle wird am wenigsten verlieren, Mansfeld-Südharz am meisten.
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Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Umschau | 14. September 2021 | 20:15 Uhr
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