Maja Göpel und Martin Stuchtey erklären im Tagesspiegel-Interview, wie eine neue Initiative aus Forschern und Unternehmern für mehr Klimaschutz sorgen will.
Ein Zusammenschluss prominenter Unternehmenslenker und Professoren hat Maßnahmen für ein nachhaltigeres Deutschland entworfen. Tiefgreifende Reformen sollen den Treibhausgasausstoß und Naturverlust in Deutschland auf netto null reduzieren und gleichzeitig die soziale Sicherung erhalten. In der Initiative haben sich unter anderem Hypovereinsbank-Chef Michael Diederich, Goldbeck-Geschäftsführer Jan-Hendrik Goldbeck, Deutsche-Post-Aufsichtsrätin Simone Menne und der Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung, Johan Rockström, zusammengeschlossen. Ihr „Kompass für Deutschland“, der diese Woche veröffentlicht werden soll und dem Tagesspiegel vorab vorliegt, enthält Handlungsempfehlungen für die neue Bundesregierung.
Das Steuersystem will die Initiative so ändern, dass Ressourcenverbrauch belastet und Arbeitseinkommen entlastet werden. Schädliche Anreize wie Dieselprivileg, Pendlerpauschale und Steuerbefreiung von Flugzeugkerosin sollen abgeschafft, Kohlendioxid-Emissionen hingegen besteuert und die Einnahmen daraus an die Bürger zurückgezahlt werden.
Eine „gesetzliche Aktienrente“ soll Altersvorsorgetöpfe für nachhaltige Investitionen bereitstellen. Staatliche Investitionen, Beteiligungen und Fördermittel sollen ebenfalls dazu dienen. Zudem will die Initiative vorschreiben, dass Vorstände und Aufsichtsräte über Sachverstand in Nachhaltigkeit verfügen und ihre Bezahlung an nachhaltige Entwicklungen geknüpft wird. Auch Bilanzierungsvorschriften für Unternehmen sollen sich ändern: Bislang nämlich könnten Nachhaltigkeitsmaßnahmen oft nur als Aufwand verbucht werden, was Finanzierungen erschwere.
Weitere Vorschläge: Emissionsarme Schlüsseltechnologien sollen durch staatliche Nachfrage schneller zur Marktreife gebracht werden. Neue Handelsplätze sollen Recycling von Rohstoffen umfassend ermöglichen. Der Werterhalt von Produkten soll durch ein Recht auf Reparatur gefördert werden.
Frau Göpel, Herr Stuchtey, Sie haben hochkarätige Managerinnen und Manager mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern zusammengebracht, um daraus so etwas wie einen Masterplan für den Umbau Europas in Richtung Klimaneutralität zu entwickeln. Hätten das die EU-Kommission und die Mitgliedsstaaten nicht auch selbst hingekriegt?
STUCHTEY: Wir sind mit dem Club of Rome 2020 in eine Diskussion mit der EU-Kommission gekommen, in der uns die Frage gestellt wurde: Was haltet Ihr vom European Green Deal? Die Antwort fiel uns leicht: Wir finden ihn gut. Schließlich handelt es sich um einen Paradigmenwechsel, wenn wir nach einem Modell suchen, das soziale, ökonomische und ökologische Ziele gemeinsam verfolgt. Dann wurde uns eine zweite Frage von der EU-Kommission gestellt: Kann das auch funktionieren?
Ihre Antwort?
STUCHTEY: Die fiel verhaltener aus: Wohl kaum, solange nicht eine Reihe von systemischen Voraussetzungen vorhanden sind.
Welche zum Beispiel?
STUCHTEY: Jene Dinge, die man anders machen müsste, damit man aus den heutigen Zielkonflikten zwischen Sozialem, Ökologischem und Ökonomischem herauskommt. Wie messen wir Wohlstand? Wie kann Wohlstand definiert werden mit begrenzten Ressourcen, mit anderen Worten: Wie können wir eher nutzen- als produktorientiert sein? Wie müssen Märkte gestaltet sein, damit diejenigen belohnt werden, die positive Nebeneffekte erzeugen, und jene bestraft, die für negative Nebeneffekte sorgen?
Und? Wie geht das?
STUCHTEY: Wir brauchen eine systemische Modernisierung von Industrie, Wirtschaft und Gesellschaft. Damit wir das hinkriegen, fehlt uns aber noch ein Mut machender Impuls. Den wollen wir mit dem „Kompass“ liefern. Insbesondere wäre es hilfreich, wenn in der Wirtschaft, in der normalerweise vor allem ihre Partikularinteressen verteidigt werden, ans große Ganze gedacht wird. Sie kann der Politik Hinweise darauf geben, was machbar ist, wenn diese sich nur an ein paar richtig große Themen herantraut.
GÖPEL: Krisenmomente sind schließlich immer auch Fenster der Möglichkeit: Die Bereitschaft in der Gesellschaft ist in Krisenzeiten sehr viel stärker ausgeprägt, sich mit Fehlentwicklungen auch wirklich auseinander zu setzen und grundsätzlichere Fragen zu stellen.
Die Herausforderungen des Klimawandels sind schon seit mehr als 40 Jahren bekannt. Was macht Sie denn so optimistisch, dass sich jetzt etwas ändern wird?
STUCHTEY: Es kommt eine Menge in Bewegung. Einerseits kann man in vielen Staaten sehen, dass in Teilbereichen mittlerweile ein Wettlauf stattfindet, wer der Grünste aller Grünen ist. Beispiel dafür ist die britische Regierung, die angekündigt hat, nun 78 Prozent Emissionsreduktion bis 2035 realisieren zu wollen. Oder nehmen Sie die EU, die ihre Klimaziele nach oben korrigiert hat. Es gibt auch eine Menge Mutmacher, wenn man auf die Rechtsprechung schaut. So hat unser Bundesverfassungsgericht die Debatte vom Kopf auf die Füße gestellt: Es sind nämlich nicht die Umweltschützer, die unsere Freiheitsrechte bedrohen. Sondern es ist unser Unwillen, klimapolitisch rigoroser zu handeln, welcher der nächsten Generation Freiheitsrechte nehmen wird.
Die Gesellschaft hört es nicht gerne, wenn ihr schnell große Opfer abverlangt werden.
STUCHTEY: Wir wissen mittlerweile, dass wir technologisch in der Lage sind, das Klimaproblem zu lösen. Und zwar ohne massive Wohlstandsverluste. Aber wir haben keine Zeitreserven mehr.
GÖPEL: Wir müssen uns erst einmal ehrlich machen. Wir fahren in vielen Bereichen der Wirtschaft auf blinde Sicht: Das fängt bei der Wohlstandsmessung an und geht bei der unternehmerischen Bilanzierung weiter. Unternehmen können nur schwerlich nachhaltig investieren, weil der kurzfristige Erfolg des Geschäftsmodells und die finanzielle Rendite alles ist, was zählt.
Das könnte man auch über die staatliche Haushaltsplanung sagen.
GÖPEL: Stimmt. Nehmen wir unsere Schuldenbremse: Sie gilt vielen als Sakrileg. Aber wenn genau hingesehen wird, was wir durch die Aufnahme von neuen Krediten finanzieren können, ist eine differenzierte Auslegung sinnvoll: Denn es handelt sich in vielen Bereichen nicht nur um eine Verschuldung, sondern auch um eine Investition in das Volksvermögen. Es entstehen ja auch Werte. Und wenn das Infrastrukturen sind, durch die eine Energieversorgung künftig viel kostengünstiger erfolgen kann, weil ich keine Brennstoffe mehr bezahlen muss, ist es nicht sinnvoll, nur Schulden auf einer Seite zu buchen, ohne dass die Aktiva auf der anderen Seite erscheinen.
Dann wollen Sie also auch die seit Hunderten von Jahren bestehende Kameralistik, die einfache Einnahmen-Ausgaben-Rechnung des Staates, abschaffen?
GÖPEL: Erweitern. Wir nutzen heute Kennzahlen, die uns gerade nicht darüber aufklären, in welche Richtung Ausgaben und unsere Handlungen wirken, und was dadurch in Zukunft möglich sein wird.
Deutschland kann aktuell durch Kreditaufnahme Geld einnehmen, und gleichzeitig sind alle besorgt darüber, wie sie in unseren aktuellen Infrastrukturen etwa von Energie und Verkehr ohne hohe Zusatzkosten CO2-frei leben sollen.
Aber das ist vor allem eine temporäre Herausforderung: Es geht ja schließlich darum, dass wir ganz andere Infrastrukturen und Alltagsroutinen haben werden, wenn die neu entwickelten Lösungen, an denen die Industrie längst arbeitet, schnell auf den Markt kommen. In zehn Jahren, da bin ich mir sicher, werden ganz andere Lebensstile möglich. Es wird viel einfacher sein, CO2-neutral zu leben.
Dagegen werden sich aber all diejenigen zur Wehr setzen, die viel zu verlieren haben.
GÖPEL: Entscheidend ist, dass nicht nur Besitzstandswahrer und organisierte Interessensvertretungen in der gesellschaftlichen und politischen Diskussion angehört werden, und wir damit den üblichen Minimalkonsens fortsetzen, sondern dass Pionierinnen und Pioniere als die Wirtschaft der Zukunft auftreten. Wenn sich mehr und mehr Führungspersönlichkeiten anschließen, dann wird es auch immer schwieriger, zu sagen: „Die“ Wirtschaft wird darunter leiden. Es wird sehr viel deutlicher, wer mit einer Verhinderungslogik operiert. Und andererseits auch, wer die Zukunft gerne sehr viel schneller erschaffen würde. Es geht um Corporate Political Responsibility.

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