Richterin Alexandra Wolf: »Ich mag es lieber, wenn es um Geld geht statt um Mord«
Der Start ins Arbeitsleben ist aufregend, anstrengend – und oft ganz anders als geplant. In der Serie »Mein erstes Jahr im Job« erzählen Berufseinsteiger:innen, wie sie diese Zeit erlebt haben. Diesmal: Alexandra Wolf, 28, die immer das Ziel, Richterin zu werden, verfolgte – allen Anstrengungen zum Trotz.
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»Ich zog meine schwarze Robe an, richtete den Samtstreifen und wusste, dass mir an diesem Tag keiner helfen würde. Ein Montagmorgen im Winter, neun Uhr, im Landgericht Heidelberg. Ich war schon nervös aufgestanden. Heute ging ich das erste Mal allein in den Gerichtssaal, wusste, dass ich dort später allein das Urteil fällen und Anwält:innen gegenübersitzen würde, von denen wohl jeder mehr Verhandlungen erlebt hatte, als ich Jahre alt bin.
Der Streit, um den es ging, war eher klein. Für mich jedoch gab es an diesem Morgen wohl wenig Größeres. Ich war die, die entschied, wie er ausging. Ich war Richterin. Das erste Mal ganz allein.
Dass ich Jura studieren wollte, wusste ich seit der Oberstufe. Ich hatte ein Praktikum bei einem Rechtsanwalt gemacht, dort das erste Mal einen Gerichtssaal von innen gesehen und Gelegenheit, vertraulich in Akten zu schauen. Mir hat es schon damals imponiert, wie Richter:innen es schaffen, zwei hoch zerstrittene Parteien zueinander zu führen.
Ich habe schon damals gemerkt, dass mir dieses Vermitteln zwischen Menschen Spaß macht. Zivilrecht, das hatte ich daher schon recht früh im Gefühl, war eher meins als zum Beispiel Strafrecht.
Nach meinem Abi 2012 begann ich ein Jurastudium in Heidelberg. Dass es tough werden würde, war mir klar. Ich habe keine Jurist:innen in der Familie, las daher einiges im Internet und besuchte den Tag der offenen Tür der Uni. Wie hart das Studium gerade gegen Ende wird, lässt sich über Berichte oder Erzählungen aber kaum begreifen. Ich kenne niemanden, der durch dieses Studium durchmarschiert ist.
Vor allem Richtung Examen wird es unfassbar anstrengend. Zwei Jahre dauert die Vorbereitung. Ich habe mich damals selbst organisiert und in Lerngruppen auf das Examen vorbereitet. Wichtig ist vor allem, dass man herausfindet, wie man am besten lernt – und wann. Meine Tage gingen von 8 bis 19 Uhr. Morgens und am frühen Mittag lernte ich neue Dinge, den Rest der Zeit wiederholte ich und wendete an. An meinen Lernplan hielt ich mich genauso sklavisch wie an die Pausen danach. Abends ging ich laufen am Neckar oder mit Freund:innen ein Radler trinken.
Als mein erstes Examen ein Prädikatsexamen wurde, eines also, das deutlich besser war als der Durchschnitt, gab mir das ein gutes Gefühl, dass meine Vorbereitung funktioniert. Mein zweijähriges Referendariat machte ich dann an verschiedenen Stationen. Ich war am Gericht, bei der Staatsanwaltschaft, in der Verwaltung sowie bei einer kleinen Kanzlei und einer Großkanzlei tätig. Es ist ein Halbtagsjob, den Rest des Tages lernt man weiter für das zweite Examen.
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Im Referendariat geht es mehr darum, Recht anzuwenden, das lag mir noch ein Stück mehr. Man schreibt Urteile, setzt Recht also schon praktischer um. Im Referendariat bestätigte sich, was ich schon zuvor bemerkt hatte: Mich zog es zum Zivilrecht. Ich mag es lieber, wenn es um Geld geht statt um Mord.
Mit dem schriftlichen Ergebnis meines zweiten Examens habe ich mich dann beim Land Baden-Württemberg für die Justiz beworben. Die Einstellung erfolgt über das Ministerium der Justiz und für Migration Baden-Württemberg. Die Note im zweiten Staatsexamen ist entscheidend für die fachliche Eignung, um als Richterin arbeiten zu dürfen. Daneben gehört zum Einstellungsverfahren auch ein persönliches Gespräch mit der oder dem Personalreferent:in des Justizministeriums. Hier geht es darum, die persönliche Eignung zu prüfen. Ich bekam eine Einstellungszusage als Richterin auf Probe beim Landgericht Heidelberg. Mit 26 Jahren. Richter:innen werden nach Besoldungsgruppen bezahlt, ich stieg auf der Stufe R1, Stufe 1 mit etwa 55.000 Euro brutto im Jahr ein, bei einer vorgesehenen 41-Stunden-Woche.
In der freien Wirtschaft hätte ich mehr als das Doppelte verdienen können. Aber auch 60 bis 70 Stunden in der Woche gearbeitet. Das war es mir nicht wert – und Richterin zu werden, das war ja immer mein Ziel.
Die ersten Wochen nutzte ich vor allem dazu, mich mit erfahrenen Kolleg:innen auszutauschen, von ihnen zu lernen, mir Verhandlungen anzusehen und Erfahrungen aufzusaugen. Das half mir, um reinzukommen. Am Landgericht werden in Zivilsachen Streitwerte von mehr als 5000 Euro verhandelt, häufig mit mehreren Richter:innen in sogenannten Kammern. Vor allem bei Verfahren von größerer Bedeutung. Ich habe dabei häufig als Berichterstatterin den Urteilsentwurf geschrieben oder als Beisitzerin in der Verhandlung unterstützt. Den größten Teil der Verhandlungen habe ich jedoch allein geführt. Das reine Verhandeln ist aber ohnehin nur die Hälfte der Arbeitszeit einer Richterin, viel ist auch Vorbereitung: Von welchem Sachverhalt geht man aus? Welche Beweise liegen vor? Wie ist die Rechtslage? Welche Zeug:innen kommen? Wen muss ich belehren? Muss nachverhandelt werden? Solche Fragen.
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Seit Dezember vergangenen Jahres bin ich nun Richterin bei dem Amtsgericht in Wiesloch. Dort gab es akuten personellen Bedarf. Daher wurde ich versetzt. Im Ort ist eine Psychiatrie, weshalb häufig schnell über Grundrechtseingriffe für Patient:innen entschieden werden muss – etwa, wenn jemand dort gegen seinen Willen eingeliefert wird. Richter:innen beim Amtsgericht sind davon abgesehen aber auch für alle kleineren strafrechtliche Vergehen und Ordnungswidrigkeiten oder zivilrechtliche Auseinandersetzungen in dieser Gemeinde zuständig, Dinge, die unter einem Streitwert von 5000 Euro liegen. Ich kümmere mich etwa um Falschparker:innen oder Corona-Verstöße. Gerade Menschen, die keine Masken tragen wollen, sind nicht immer einfach. Probleme mit Respektlosigkeiten habe ich aber eher selten.
Wer in Deutschland als Richter:in arbeiten möchte, muss zwingend das erste und zweite juristische Staatsexamen an einer Hochschule erfolgreich gemeistert haben. Um Richter:in zu werden, häufig mit besonders guter Note; einem sogenannten Prädikatsexamen. Mit einem »sehr guten« Examen schließt in Deutschland häufig weniger als ein Prozent eines Jahrgangs ab. Hat man im Ausland studiert, ist häufig eine Anerkennung notwendig.
Nach dem ersten Staatsexamen absolviert man ein zweijähriges Referendariat, in dem man die Berufspraxis besser kennenlernen soll. Man bereitet in dieser Zeit etwa Zeug:innenbefragungen vor, lernt die Arbeit mit Akten kennen oder arbeitet Richter:innen in der Vorbereitung von Verhandlungen zu. Auch eine Promotion ist in dieser Zeit möglich, jedoch kein Muss.
Die Ernennung erfolgt zunächst zum/zur Richter:in auf Probe, Assessor:in genannt. Nach etwa drei bis fünf Jahren in denen man, wie unsere Protagonistin, verschiedene Stationen durchläuft, erfolgt die Ernennung zum/zur Richter:in auf Lebenszeit.
Richter:innen führen Gerichtsverhandlungen und bereiten sie vor. Sie sind für die Rechtssprechung verantwortlich und können in verschiedenen Rechtsgebieten arbeiten, etwa dem Privatrecht, dem öffentlichem Recht oder dem Strafrecht. An Hochschulen geben einige von ihnen ihr Wissen weiter.
Im Mittel verdienen Richter:innen laut Entgeltatlas der Bundesagentur 6190 Euro brutto monatlich. Das Richter:innen-Gehalt steigt dabei, wie auch bei unserer Protagonistin, über die Jahre sukzessive an.
Corona hat meinen Berufseinstieg in vielerlei Hinsicht beeinflusst. Lange wurden wirklich nur die aller dringlichsten Themen, etwa einige Sorgerechtsthemen, verhandelt, anderes wurde ausgesetzt oder schriftlich gelöst. Für mich selbst war das gar nicht so einfach. Ich möchte mit den Menschen persönlich sprechen, Mediatorin sein, im besten Fall einen Vergleich erzielen. Der Vergleich ist eine Alternative zum richterlichen Urteil. Dabei einigen sich die betroffenen Parteien auf eine Lösung. Ein Vergleich beruht also darauf, dass beide aufeinander zugehen, er stellt einen Kompromiss dar. Mit einem Vergleich sind im Optimalfall alle Parteien zufrieden. Das gibt mir auch in meinem Job ein gutes Gefühl.
Ab Dezember bin ich in meiner Probezeit dann zwei Jahre bei der Staatsanwaltschaft, das ist so vorgesehen. Ich habe noch nie als Staatsanwältin gearbeitet und bin gespannt auf das, was kommt. Wie es danach weitergeht, lasse ich daher noch voll auf mich zukommen.«
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