Am Freitag starten die Tarifverhandlungen für den öffentlichen Dienst der Länder. Es geht um mehr Geld für rund 3,5 Millionen Menschen – darunter Tarifbeschäftigte, Beamte und Versorgungsempfänger.
Ulrich Silberbach, Chef des mitverhandelnden Beamtenbunds DBB, sieht die Bevölkerung bei seinen Forderungen hinter sich. Im Interview spricht er über unattraktive Berufe, mögliche Streiks und seine Sorge vor einer Ampel-Koalition.
WELT: Herr Silberbach, Sie sind CDU-Mitglied. Hoffen Sie trotz Schlappe Ihrer Partei bei der Bundestagswahl noch auf eine Jamaika-Regierung?
Ulrich Silberbach: Die CDU hat in den letzten Wochen ein sehr schlechtes Bild abgegeben. Sie schafft es nicht mehr, Wirtschafts- und Arbeitnehmerinteressen auszutarieren. Trotzdem wäre Jamaika nicht nur für die CDU, sondern auch für das Land besser. Die Linken in der SPD werden nach der Wahl des Bundeskanzlers nicht mehr lange ruhig bleiben. Deren Forderungen sind kaum kompatibel mit der FDP. Deshalb ist die Gefahr groß, dass eine Ampel-Koalition schnell platzt.
WELT: Vor der Wahl waren die Grünen die beliebteste Partei bei den Beamten. Ist das nicht überraschend? Immerhin wollen sie an Beamtenprivilegien wie die private Krankenversicherung und Pensionen heran.
Silberbach: Selbstlos oder selbstvergessen? Viele Beamte wissen um ihre eigene Unkündbarkeit und machen sich deshalb mehr Sorgen um die Zukunft ihrer Kinder und Enkel. Dafür vorzusorgen, hat man SPD und Union nicht mehr zugetraut.
WELT: Während die politische Marschrichtung der Zukunft noch offen ist, startet am Freitag die Tarifrunde für den öffentlichen Dienst der Länder. Sie fordern Lohnerhöhungen von fünf Prozent, mindestens aber 150 Euro mehr pro Monat für Beamte und Tarifbeschäftigte bei einer Laufzeit von zwölf Monaten. Bietet das aktuell unsichere Umfeld schlechte Voraussetzungen, um deutlich höhere Löhne zu fordern?
Silberbach: Nein, überhaupt nicht. Ich behaupte nicht, dass die Kassen der Länder voll sind. Aber weite Teile der Politik haben in der Pandemie lautstark verkündet, wie wichtig der öffentliche Dienst ist und wie unterbezahlt viele Berufe. Dem müssen jetzt Taten folgen.
Außerdem zeigt eine neue repräsentative Umfrage, die Forsa für uns durchgeführt hat, dass zwei Drittel der Bevölkerung unsere Forderungen unterstützen. 54 Prozent finden sie angemessen, zwölf Prozent sogar zu niedrig. Fünf Prozent sind aus Sicht der Öffentlichkeit also keineswegs unverschämt. Wenn man sieht, dass die Inflation jetzt bei über vier Prozent liegt, sind wir ja geradezu bescheiden.
WELT: Noch ist unsicher, wie sich die Inflation mittelfristig entwickelt.
Silberbach: Ja natürlich. Aber selbst, wenn sie für das Gesamtjahr nur bei drei oder 3,5 Prozent liegt, frisst sie einen großen Teil der Lohnerhöhung auf. Wesentlich unter den fünf Prozent, die wir fordern, darf der Abschluss also nicht liegen. Wir müssen einen Reallohnzuwachs erreichen. Alles andere werden die Kolleginnen und Kollegen nicht akzeptieren.
WELT: Für Beschäftigte im Gesundheitssektor wollen Sie deutlich überproportionale Lohnerhöhungen. Würde der geforderte Mindestbetrag von 300 Euro pro Monat durchkommen, bekämen etwa Pflegehelfer bis zu 12,8 Prozent mehr Geld. Ist es sinnvoll, eine Gruppe derart herauszuheben?
Silberbach: Die Politik hat selbst die Vorlage dafür geliefert. Während der Pandemie wurde immer wieder gefordert, dass die Löhne – zum Beispiel in der Pflege – massiv steigen müssen, damit es noch ausreichend Nachwuchs gibt. Die Corona-Krise ist aber dabei nicht das einzige Argument. Während der Pandemie gab es ja schon Einmalzahlungen in Form der Corona-Prämien.
Der Nachholbedarf bei den Einkommen hat sich über viele Jahre angestaut. Die 12,8 Prozent sind deshalb angemessen. Wir brauchen außerdem einen eigenen Verhandlungstisch für den Gesundheitsbereich, um zu besprechen, wie wir die Arbeitsbedingungen insgesamt verbessern können. Sonst wird es nicht gelingen, die Berufe attraktiver zu machen.
WELT: Wenn Sie einen Teil der Beschäftigten derart besserstellen wollen, fehlt dann nicht zwangsläufig Geld an anderer Stelle?
Silberbach: An den Beschäftigten im öffentlichen Dienst darf generell nicht gespart werden. Wir sind überzeugt, dass die Mittel für Lohnerhöhungen da sind und an anderer Stelle erwirtschaftet werden können. Die Verschlankung der Bürokratie ist ein wichtiger Hebel. Wir haben in dieser Legislaturperiode zum Beispiel fast 600 Gesetze auf den Weg gebracht. Diesen Vorschriftendschungel umzusetzen verursacht enorme Kosten – und zwar zusätzlich zu den schon existierenden.
Deshalb brauchen wir einen Gesetze-TÜV, um jene alten Gesetze einzukassieren, die nicht funktionieren oder nicht mehr nötig sind – zum Beispiel die Vorschrift, auf welcher Höhe ein Kleiderhaken im Kindergarten hängen muss. Und so gibt es viele Prozesse, die wir deutlich verschlanken und entbürokratisieren sollten. Wenn wir das nicht tun, werden wir künftig in vielen Bereichen Probleme haben, im Konkurrenzkampf mit der Wirtschaft qualifizierten Nachwuchs zu finden.
WELT: Der öffentliche Dienst hat einen bei jungen Menschen durchaus geschätzten Vorteil: Jobsicherheit.
Silberbach: Vielen gut ausgebildeten Fachkräften geht es nicht darum, 30 Jahre lang beim gleichen Arbeitgeber zu sein. Sie wollen ein attraktives Arbeitsverhältnis haben. Da kann der öffentliche Dienst mit der Bezahlung in der freien Wirtschaft oft nicht mithalten. Zumal auch die Strukturen teils deutlich behäbiger sind und die technische Ausstattung oft fast schon musealen Charakter hat.
WELT: Modern könnte auch sein, stärker auf leistungsgerechte Bezahlung zu setzen. Die Arbeitgeber wollen das unter dem Stichwort Arbeitsvorgang angehen, die Gewerkschaften sind entschieden dagegen. Können Sie in zwei Sätzen erklären, worum es bei dem Konflikt geht?
Silberbach: Die Arbeitgeber wollen das Aufgabengebiet eines Beschäftigten in viele einzelne Tätigkeiten zerlegen und weniger Lohn zahlen, wenn nur ein geringer Teil dieser Tätigkeiten als anspruchsvoll eingestuft wird. Sie hinterfragen also den Wert der Arbeit – mit dem Ziel, die Beschäftigten in niedrigere Entgeltgruppen einzuordnen. Das ist eine rote Linie für uns. Wenn es bei diesem Ansatz bleibt, wird es keine Einigung geben.
WELT: Für die Beschäftigten in Hessen wird gesondert verhandelt, und da stehen nun schon Proteste an. Wird es darauf auch in der großen Tarifrunde hinauslaufen?
Silberbach: Das ist zu befürchten. Corona steht Streiks nicht im Wege. Es wird keine Massendemos geben, wo die Leute sich auf den Füßen stehen. Aber wenn die Arbeitgeber sich am Verhandlungstisch nicht bewegen, müssen wir die Bewegung auf der Straße erzeugen.
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