Er spielte gern den Schutzherren der deutschen Industrie, doch manche warfen ihm Planwirtschaft vor. Ein Blick auf Peter Altmaiers durchwachsene Bilanz im BMWi.
Peter Altmaier wäre gern noch länger Bundeswirtschaftsminister. Dass er es bleibt, ist unwahrscheinlich. Weil der Merkel-Vertraute sich gegen Armin Laschet als Kanzlerkandidat ausgesprochen hat, dürfte er wohl kaum einem künftigen Kabinett unter Unionsbeteiligung angehören. Sogar um sein Direktmandat für den Bundestag muss er offenbar bangen.
Doch auch fachlich ist der Saarländer, seit dem 14. März 2018 Bundesminister für Wirtschaft und Energie, überaus umstritten. Was hat der CDU-Politiker in der vergangenen Legislaturperiode geschafft – und was nicht? Eine Bilanz auf den wichtigsten Politikfeldern:
Es war wohl nicht der Start, den Peter Altmaier sich ausgemalt hatte. 2019 stellte er eine nationale Industriestrategie vor, die nicht weniger sein sollte als eine Neuordnung der Marktwirtschaft, um Deutschland fit zu machen für den Wettbewerb mit Mega-Konzernen aus China und den USA. Für das Anliegen gab es viel Lob, für den Plan, wie man es erreichen könnte, hingegen Kritik. Ausgerechnet Altmaier, der sich gerne in der Tradition von Ludwig Erhard sieht, war plötzlich mit Vorwürfen konfrontiert, er verfolge planwirtschaftliche Ziele.
In seiner Strategie stand, dass der Staat große Firmen – sogenannte europäische Champions – fördern solle. Dafür könnten auch Fusionen forciert werden. Industrievertreter sorgten sich um den Wettbewerb im Land. Der BDI nahm das Konzept des Ministers in 136 Punkten auseinander. EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager widersprach, weil Altmaier auch das EU-Wettbewerbsrecht aufweichen wollte.
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Dann kam Corona und die staatliche Beteiligung an Konzernen bekam einen ganz neuen Dreh. Plötzlich war sie vielerorts gefragt – aus purer Überlebensnot. In den meisten Fällen, etwa der Lufthansa, blieb der Bund passiv. Die Chance für zielgerichtete Staatseinstiege nutzte Altmaier nicht aus, von seiner Industriestrategie hat man länger nichts mehr gehört. Vielleicht ist das auch gut so. Das einzige Unternehmen, an dem sich der Bund in der Coronakrise offensiv aus industriepolitischen Gründen beteiligte, ist Curevac. Wie gut es hier mit dem internationalen Wettbewerb geklappt hat, ist bekannt.
„Jetzt heißt es: Back to Business“, freute sich der Wirtschaftsminister im Sommer, als er eine Verlängerung der Coronahilfen bis Ende September verkünden durfte. Die Pandemie sei noch nicht vorbei, doch das Schlimmste überstanden – auch dank der Regierung, meinte Altmaier. Auch wenn manches deutsch-bürokratisch und zäh lief, alles in allem hat die „Bazooka“ (Zitat Olaf Scholz) getroffen.
Das dürfen die Steuerzahler aber auch erwarten bei solchen Summen: Mehr als 120 Milliarden Euro an Wirtschaftshilfen wurden bislang bewilligt, dazu kommen 38 Milliarden Euro Kurzarbeitergeld. Zehn Programme hat allein das BMWi aufgelegt, darunter günstige Kredite der bundeseigenen KfW, Stabilisierungsmaßnahmen für Lufthansa, Tui und die Werften sowie die Überbrückungshilfen, die in diesem Jahr die November- und Dezemberhilfe ablösten. Ein Riesengeschäft – vor allem für Steuerberater. Allein für die Überbrückungshilfe III gingen 400.000 Anträge über ein Volumen von 25 Milliarden Euro ein. Altmaiers Nachfolger sollte sich wieder anderen Schwerpunkten widmen dürfen.
Vor einem Jahr gab der Wirtschaftsminister den reumütig Bekehrten: Er räumte große Fehler in der Klimapolitik seit den 90ern ein und präsentierte in bekannter Altmaier-Manier einen schnell zusammengestrickten 20-Punkte-Plan. Doch vom „Klima- und Wirtschaftsrat“ hat man seitdem nichts mehr gehört, ebenso wenig von der parteiübergreifenden „Charta für Klimaneutralität und Wirtschaftskraft“.
Altmaier hatte in seiner Amtszeit zwei Probleme: Die Unionsfraktion im Bundestag, die beinahe systematisch wichtige Energiewendevorhaben verschleppte oder verhinderte. Und sich selbst: Er schien desinteressiert an Sachfragen, teilweise entstand der Eindruck, sein eigenes Haus arbeite losgelöst vom Minister.
Und so wurde vor allem herumgewerkelt: Der Ausbau der Erneuerbaren Energien brach zwar ein, kam aber immerhin nicht zum Stillstand. Der Bau dringend benötigter Stromleitungen wurde vereinfacht. Und der Kohle-Ausstieg ist beschlossene Sache – wenn auch viel zu spät. Doch an keiner Stelle vermittelte Altmaier den Eindruck, mit der gebotenen Entschlossenheit zu handeln. Und dass, obwohl ihn inzwischen sogar einst klimaskeptische Industriekonzerne anbetteln, endlich für mehr günstigen grünen Strom zu sorgen.
Peter Altmaier kann auch auf den Tisch hauen. „Wenn die das nicht machen, dann machen wir es eben“, sagte er vor einigen Jahren. Mit „die“ waren Autohersteller und Zulieferer gemeint, die anders als der Bundeswirtschaftsminister nicht erkennen wollten, welche Schlüsselfunktion die Batterie im Elektroauto hat.
Manager wie Daimler-Chef Dieter Zetsche sprachen damals vom Akku als „Commodity“: ein schnödes Teil im Auto, das man wie Reifen oder Scheibenwischer beim Lieferanten kauft. Inzwischen hat die Industrie ihren Irrtum korrigiert und investiert Milliarden in den Aufbau eigener Kapazitäten.
Weitblick und Entscheidungsfreude bewies aber vor allem die Politik. Vor drei Jahren war Altmaier Mit-Initiator eines großen Projekts zum Aufbau einer europäischen Batteriezellfertigung. Sein BMWi und die Bundesländer fördern mit knapp drei Milliarden Euro 16 Projekte hierzulande. Und kürzlich sagte der Minister einem Konsortium aus Stellantis, Opel und der Total-Tochter Saft 437 Millionen Euro zu, um eine Zellfabrik in Kaiserslautern zu bauen. Altmaiers Ziel, eine geschlossene Wertschöpfungskette für Batterien aufzubauen, wird in den kommenden Jahren erreicht.
Am Ende musste Altmaier doch klein beigeben. Lange hatte sich der Wirtschaftsminister gegen ein Lieferkettengesetz gewehrt, doch Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) und Entwicklungshilfeminister Gerd Müller (CSU) setzten sich durch. Wenige Monate vor dem Ende der schwarz-roten Koalition kam das Gesetz, das deutsche Unternehmen für Verfehlungen ihrer Lieferanten in die Verantwortung nimmt, dann doch.
Dabei hatte sich Altmaier erbittert gewehrt. Erst zweifelte sein Ministerium eine Umfrage an, mit der das Auswärtige Amt den Bedarf eines solchen Gesetzes nachweisen wollte. Dann klagte er über unzumutbare Belastungen der Wirtschaft. Wie solle ein Mittelständler überprüfen, ob der Zulieferer eines Zulieferers seines Zulieferers gegen Menschenrechte verstößt? Als dem Vernehmen nach die Kanzlerin höchstselbst Heil und Müller im vergangenen Jahr zurückpfiff, war der Koalitionskrach perfekt und es schien, als säße Altmaier am längeren Hebel. Er gefiel sich gut als Schutzherr der deutschen Wirtschaft.
Doch das Gesetz kam. Und trotzdem waren viele der NGOs, die über Jahre dafür gekämpft hatten, nicht zufrieden. Denn beispielsweise findet sich die zivilrechtliche Haftung für deutsche Unternehmen in dem Gesetz nicht. Vielleicht war die Niederlage für Altmaier am Ende doch ein Erfolg.
Altmaiers industriepolitische Ambitionen zeigten sich auch im Digitalen. Um das Potenzial der Künstlichen Intelligenz (KI) besser zu nutzen, wollte er einen „KI-Airbus“ schaffen: Mit dem Projekt Gaia-X soll eine vernetzte, europäische Dateninfrastruktur geschaffen werden. Nicht wie ursprünglich gedacht als Alternative zu den großen US-Cloud-Diensten von Amazon, Microsoft und Google, sondern um unden den Wechsel oder die Nutzung mehrerer Anbieter zu erleichtern. Als „vielleicht wichtigstes digitales Bestreben einer Generation“, bezeichnete Altmaier Gaia-X. Ob es diese hohen Erwartungen erfüllen kann, bleibt abzuwarten, zwischen 2023 und 2025 soll das Projekt durchstarten.
Ein anderes Zukunftsthema sind Quantencomputer. Hier hat sich das BMWi eine von zwei geplanten Fördermilliarden gesichert. Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt soll damit den Bau eines Quantenrechners vorantreiben. Start-ups und Industrie werden stärker eingebunden als bei den parallelen Projekten des Forschungsministeriums.
Zudem versucht Altmaier die Chipindustrie in Deutschland und Europa zu stärken. Bis 2030 soll Europas Marktanteil auf 20 Prozent verdoppelt werden. Auch das ist ambitioniert: Dazu wäre eine Verdrei- oder Vervierfachung der Produktion in Deutschland nötig.
Deutschlands Start-up-Lobby fordert „Kapital und Köpfe“ – der Staat müsse jungen Firmen zu mehr Geld und guten Leuten verhelfen. Peter Altmaiers Performance auf diesem Gebiet ist durchwachsen. Kapital hat er zwar geliefert, mit dem Corona-Schutzschirm half der Bund Start-ups in Not, mit dem Zukunftsfonds greift er Investoren bei Finanzierungsrunden unter die Arme. Doch das Geld fließe viel zu langsam, bemängeln Gründerinnen und Gründer, und teils an die Falschen: reiche Kapitalgeber, die damit ihre Rendite aufbessern.
Beim Thema Köpfe wünscht sich die Szene Steuererleichterungen, um Talente in Unternehmensanteilen bezahlen zu können, wenn es für mehr Gehalt nicht reicht. Zuständig wäre hierfür aber eher das Finanzressort.
Der Wirtschaftsminister wird den Ruf nicht los, Gründerinnen und Gründer stiefmütterlich zu behandeln. Sein Start-up-Beauftragter Thomas Jarzombek (CDU) gilt als machtlos. Der „Beirat Junge Digitale Wirtschaft“, in dem prominente Szenevertreter das BMWi beraten sollten, blamierte sich kürzlich mit einem medienfeindlichen Positionspapier. Und im Frühjar sagte Altmaier zu allem Überfluss, wenn es mit der Digitalisierung in Deutschland „nicht so richtig klappt, wäre ich auch bereit, das beste Digital-Team aus Estland einzufliegen, um hier schneller voranzukommen.“ Wertschätzung für heimische Start-ups hört sich anders an.

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